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Die Haut als ein Organ der Seele

Um alle ihre Lebewesen hat Mutter Natur einen Mantel geschlagen. Sie läßt nichts hüllenlos und wahrhaft nackt. Pflanze und Tier, vom niedrigsten einzelligen belebten Organismus bis zu den kompliziertesten Prachtexemplaren: an Körperlichkeit dem Mammuttier, an Geistigkeit dem Herrn dieses Planeten, dem Menschen, sie alle tragen ein natürliches Kleid, gewebt aus elastischen Fasern, über die schillernde Schuppen, leuchtende Farbenglut, Blütenschmelz und schmückende Zier verschwenderisch und in staunenswerter Vielgestaltigkeit nicht minder ausgebreitet sind, als ein rauher und den Feinden aller Art trotzender Abwehrpanzer, ein schützender Wall von Höckern, Stacheln, Borken und Horngerüsten. Diese Enveloppe ist eng angeschmiegt an die Struktur des eigentlichen Leibes in wunderbarer Anpassung an das Milieu der Milliarden von Variationen zulassenden Lebensformen und schließt die Organe ein enger und dichter, als es je ein Kleiderstoff tun könnte. Wir sprechen von einem Federkleid, vom Pelz, vom Mantel, von Hautdecken und Körperhüllen bei allen Tieren; und nur der Mensch, dieser einzige Vollstrecker und Vervollkommner der Naturidee, hat sein Corriger la nature der eingeborenen Hülle hinzugefügt, wiederum in analoger Verquickung von Schutz und Schmuck – nämlich unsere Kleidung, bei welcher die Variationslust unter dem Direktorium der Mode nicht weniger lebhaft am Werke ist, als bei der Meisterin der Vielgestaltigkeit, Mutter Natur selber. Welches Wunderwerk aber ist diese unsere Haut, ein feinmaschiges Trikot, in dem wir immer herum gehen müssen und das wir niemals ablegen können! Es ist ein Zaubergewebe von eigenartiger Pracht, Leuchtkraft und reichem Glanz, das hinreißend schön sein kann, solange der Jugend Blütenschmuck über ihm gebreitet liegt, und das im Alter die Runenschrift alles Menschenleides aufweist. Welch eine Rolle spielt die Haut im Haushalt unseres Leibes! Sie atmet, sie reguliert die Körperwärme, sie sondert Verbrauchtes ab, sie nimmt Luft, Licht, Feuchtigkeit ein und gibt sie aus, sie resorbiert Heilstoffe und Gifte und sondert schützende Öle ab, sie zieht sich zusammen und dehnt sich aus, sie hat einen eigenen Duft, der nicht nur die Rassen voneinander unterscheiden läßt, sondern auch viel mehr, als man gemeinhin weiß, der Träger eines gut Teils unserer Persönlichkeit ist, sie hat eine Farbenskala von großem Reichtum und trägt ein mikroskopisches, Wiesendecken gleiches Feld feinster Härchen, das sich zu Busch und Wald verdichtet, in denen Mysterien wohnen und Lebensrätsel sich verbergen, das unser Göttlichstes, Auge, Mund und Stirn, umrahmt und unser Menschlichstes versteckt! Sie ist aber ferner unser nervösestes Organ! Nicht allein, daß sie ein Teppich ist, in den die Wundersternchen des Gefühls und des Empfindens eingewebt sind, zahllos wie die Sterne am Himmel, sie hat ein hochkompliziertes seelisches Leben, auf das sich einmal ernstlich hinzuweisen durchaus der Mühe lohnen dürfte. Die Haut erschrickt, schaudert, ist durchrieselt von Gefühlen der Lust und des Abscheus, es kann ihr weh und wohlig sein, sie kann erglühen vor Erregung, Zorn oder Scham und kann erblassen im Affekt des Schreckens, der Ohnmacht, der Wut. Sie ist der feinste Barometer unseres Krankseins, und der Rückschlüsse, welche der Kundige allein aus ihrem Befühlen auf unsern Gesundheitszustand, auf Gefahr oder kommende Genesung machen kann, sind unzählige. Und nun dies Befühlen selbst. Welche Fülle seelischen Geschehens birgt es in sich! Welche Wonnen, welche Beruhigung einerseits, welche Beleidigung und welchen Abscheu auf der andern Seite übermitteln diese Milliarden kleiner Empfindungsknäuel, die als sogenannte Nervensprossen in der Haut und als Tastkörperchen ausgesät sind und von Mensch zu Mensch ihre Ströme senden! Welche Wunder der Seele im Streicheln, im Liebkosen, im einfachen Handauflegen! Alles das wirkt von Seele zu Seele durch das Medium der Haut, die ja buchstäblich nichts anders ist als ein Schilfwald von Polypenarmen, den das Nervensystem nach außen in die Welt ausgestülpt hat. In der Haut schuf sich Natur die Wunderharfe, auf der des Lebens Zauberfinger spielen, hier wogen und wallen die feinsten Nervenströme hin und her, die uns orientieren, uns mit sichtbaren und unsichtbaren Strahlen laden, von hier aus spielt die Sonne und das Licht, das Dunkel und die Finsternis ihre Funken- und Schattenlieder. Hier sind der Seele durstige, saugende Kelche, mit welchen sie, lechzend nach Erregung, Kraft und Bewegung, den ganzen Funkenkranz der Sonnenwellen jenseits und diesseits vom Spektrum einschlürft. Ein Sonnenbad, ein Meeresbad, ein Freiluftbad, eine Dusche, – welche Quellen von Schwungrad treibender Lebensenergie übermitteln sie allein und direkt durch diesen Zaubermantel übersät mit Nervenflitter und Glühlämpchen von ebenso geheimnisvoller wie schönheitdurchleuchteter Zweckmäßigkeit. Es ist meines Wissens noch niemals genügend betont, daß die Haut, diese Hülle und diese Offenbarung unserer Persönlichkeit, nachweisbar anatomisch und entwicklungsgeschichtlich ein echtes Seelenorgan ist.

Wenn das Wunder aller Wunder geschehen ist, wenn die mütterliche Eizelle befruchtet ist, wenn mit goldenem Schlüssel des werdenden Menschen erste Blüte aufgeschlossen wird, lagert sich die wachsende Keimsubstanz in drei mikroskopisch deutlich erkennbaren Teppichen übereinander: den sogenannten Keimschichten. Aus einer wird das Baugerüst des Leibes, das Skelett mit seinen Säulen, Röhren und Kapseln, Schädel und Rückgrat, aus dem anderen Herz, Gefäße, große Drüsen und der Ernährungsweg, und aus dem dritten, dem Horn-Sinnesblatt: Gehirn, Nervensubstanz und – Haut! Da haben wir des Rätsels Lösung: Gehirn und Haut sind als ein einheitliches Organ angelegt und gedacht. Sie entstammen denselben Adern aus dem tiefsten Schacht des Lebens, sie sind eine anatomische und physiologische Einheit. Da dem so ist, wage ich kühn den Satz: unsere Haut ist ein Teil unserer Seele! Jetzt wird es uns klar, warum sie von unserer Seele ebensoviel zu künden, wie von der des anderen zu empfangen vermag; sie ist ja ein Teil, ein Substrat des Seelenorgans selbst, sie ist nach außen gestülptes Gehirn, sie enthält, entladet und empfängt einen beträchtlichen Teil des seelischen Geschehens überhaupt. Jetzt erkennen wir deutlich – und das ist das Wichtigste dieser ganzen Betrachtung – warum von hier aus, von der Haut her, so gewaltige Eingriffe in den Gesundheitsbestand unseres gesamten Organismus möglich sind. Die ganze Hygiene der Haut ist oder sollte es wenigstens sein – eine psychologische Angelegenheit. Jetzt erhellt, warum die Reinlichkeit ein Teil, eine Funktion seelischer Schönheit ist, warum Sauberkeit eine kardinale Tugend, ein soziales Erfordernis, eine sittliche Pflicht ist. Die Kultur eines Volkes wie des einzelnen kann gemessen werden an dem Maß von Sorgfalt, das beide auf die Kultur der Haut verwenden. Zur Kultur der Seele gehört untrennbar die Kultur der Haut. Die Zeiten sind für immer vorüber, in denen struppiger Bart, ungepflegte Hände, Wasserscheu und Nonchalance der Tracht für das Erkennungszeichen genialischer Kraftnaturen galten: »er gibt nichts aufs Äußere«, pflegte man früher von einem solchen teutonischen Kraftmeyer entschuldigend im Hinblick auf die Gewalt seines Innenlebens zu sagen, wobei man eben vergaß, daß das »Äußere« unseres Leibes, die Haut, durchaus ein Teil des Innerlichsten ist. Gewiß können wir es durch keine Kultur erzwingen, unserer Haut wieder jenen weichsamtenen Blütenschmelz zu geben oder zu erhalten, wie ihn beispielsweise die Halspartie oder der Nacken eines Kindes aufweist, man kann die Haut nicht schöner gestalten, als sie von Natur angelegt ist, aber jeder kann ihr den Höhepunkt ihrer Elastizität, Leuchtkraft, Frische und dynamischen Strahlenwirkung – denn an diese glaube ich in irgendeiner Form von X-, Y-oder Z-Strahlen – abzwingen.

Ein Blick auf eines Menschen Haut – übrigens instinktiv zur Abschätzung der Persönlichkeit ebensooft geübt wie der forschende Blick in die viel weniger durchschaubaren Augen – kann uns von der Seele mehr verraten, als viele, viele Worte und andere Lockmittel zum Fallenlassen der seelischen Maske, die den meisten nun doch einmal das Leben, die Gesellschaft, der Kampf ums Dasein aufnötigt. Das Gehirn kann sich mit Hilfe seiner Sklaven, der Muskeln des Gesichts, leicht »verstellen«, die Haut verstellt sich nicht, sie kann nicht posieren, die sagt wie eine schlecht gepflegte Pflanze: man kultiviert mich nicht, meines Trägers Seele ist matt, wie meine welken Fasern, oder sie blitzt uns entgegen: seht! wie mein Herr mich hält, so ist sein ganzes Wesen! Welch armseliger Versuch, dieses Seelenorgan zur Lüge zu zwingen, durch Puder, Schminke, Tinten und Creme! Wahrlich, die Frauenwelt muß uns Männer für lauter kurzsichtige Troddel halten, wenn sie immer wieder glauben kann, es gäbe jemand, der diese Maskerade der Haut nicht durchschaute. Hier kann die Kunst nichts tun, aber desto mehr hat die Natur uns Mittel gegeben, diesem unserem Seelenorgan auf das wirksamste beizukommen. Wer nicht täglich eine halbe Stunde Zeit hat, mit Seifung, Dusche, Luftbad, Abreibung usw. seiner Haut und seiner Seele zu dienen, versäumt ja nicht nur, den natürlichsten Schmuck, den wir haben, zu putzen und sauber zu halten, sondern er verzichtet auch darauf, seiner Energie die unerläßlichsten Kraftquellen zu erschließen. Es ist wissenschaftlich noch nicht völlig geklärt, warum die täglichen kalten und wechselnden Vollduschen die Nervenspannkraft so offensichtlich steigern – ich glaube an eine Art Turnübung der kleinsten Gefäßmuskeln der Haut und sekundär des Gehirns, welche unsere Willenskräfte zu beeinflussen imstande sind – aber die Tatsache ist unbestreitbar, das kalte Wasser hat Mühlenwind für die Flügel unserer Seele, es hat die Fähigkeit, Spannungen in uns zu akkumulieren, wie die Sammler der elektrischen Ladung. Denn abgesehen von dem Segen der Disziplinierung, morgens zunächst durch eine Dusche den Gesamtbetrieb anzudrehen, wie eine Kurbel am Automobil, es sind direkte physische Kräftespannungen, welche von der Frottierung der Haut, der rhythmischen Zusammenziehung aller ihrer Millionen mikroskopischer Muskeln beim Duschen, Luftbad und beim Abreiben ausgelöst werden und die direkt von der Haut in die Seele einströmen wie unzählige Bäche in den brausenden Strom, der unsere Persönlichkeit in den Ozean des Lebens trägt.

Wie hübsch symbolisiert alles das, was wir von der seelischen Natur der Haut gesagt haben, die durch alle Natur- und Kulturvölker hindurchgehende Sitte, die Haut zu schmücken mit Farben, Perlen, Edelgestein und Flimmerwerk. Es ist, als wenn dieser Ziertrieb des Menschen uns all die herrlichen Eigenschaften der Haut in konzentriertestem Maße zum Bewußtsein bringen wollte: da ist die Perle obenan ein Symbol für den matten Glanz ihrer schmiegenden, schimmernden Weichheit, da ist der Diamant ein Symbol für die funkelnde schillernde Pracht ihrer seitlichen Durchleuchtung, da ist der Rubin als Symbol ihrer Durchströmung mit der flüssigen Glut des Lebenssaftes. Das ist vielleicht auch der geheime Sinn, warum die Menschen und namentlich die Frauen, die ja durchschnittlich eine so unendlich viel schönere Haut besitzen als der Mann, sich so gern mit Naturgebilden schmücken, die, was Schönheit der Hülle betrifft, im ganzen Reich der Erde beispiellos dastehen, mit den Pflanzen und Blüten! Auch hier symbolisiert die Weichheit des Flaums im Blütenkelch und Blütenblatt einen Reiz, der der menschlichen Haut keineswegs versagt ist! Blütenschmuck ist ja eine Art Huldigung, die der Mensch dem Naturgedanken schöner Umhüllung darbringt; denn, wenn Großvater Goethe und Vater Darwin recht haben, diese Träger aller unserer modernen Naturgedanken, so ist die Blütenhaut in ihrem Farbensamt und ihrer schneeigen Decke die Stammutter und das Urgebild auch der menschlichen Haut! Was wir auch mit unserer Haut anfangen, denken wir daran, daß sie von Blüten stammt und ihr Ebenbild ist, daß sie Zartheit und Innigkeit verlangt in ihrer Pflege, wie ihre duftenden, das ganze Leben verschönenden Ahnen aus dem Reich der Blumen.


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