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Neid.

Koja wuchs, aber sein einziges Röcklein wuchs nicht mit. Es war zu kurz geworden und bedeckte nicht mehr den geflickten Hosenboden. Zu lang ragten die Arme aus den zu kurzen Ärmeln. Darob schämte er sich, und er schämte sich am meisten an Sonntagen, wenn andere Kinder in schönen neuen Kleidern einhergingen. Auch das kränkliche Söhnlein des Hausherrn, das doch kaum aus dem Hause kam, hatte neue Kleider bekommen. Und es war Koja, als ob alle Leute gerade seine Kleider mit geringschätzigen Blicken musterten; da kam er sich so minder vor, daß er sich am liebsten verkrochen hätte. Er mied auch Schandor und Maruscha und wußte ihnen zu entgehen, wenn sie ihn suchten. Vor ihnen flüchtend, stieg er eines Nachmittags hinter dem Bäckerhaus den Hang hinan und fand auf der Höhe Deckung hinter dem Buschwerk, das die Äcker und Wiesen säumte. Auf sich selbst angewiesen, ging er dort seinen Entdeckerfreuden nach. In der Ackerkrume, die aus verwittertem Urgestein bestand, fand er vom Regen ausgewaschene Kristalle von Feldspat, die er zwar nicht dem Namen nach kannte, die ihm aber als flachgedrückte, sechsseitige Säulen mit dachähnlichen Endflächen auffielen und des Mitnehmens wert waren. Er fand rote Eisenkiesel und silberig glänzende Stücke von Glimmerschiefer. Und am Rain waren große, dichte Polster von Mauerpfeffer, dessen dickbeblätterte Zweiglein schon Döldchen von gelben Knospen trugen. Davon pflückte sich Koja den Hut voll. Zwischen zwei Haselstauden, die von Waldreben dachartig übersponnen waren, säuberte er den Boden von Laub und Fallholz, so daß der moosige Rasen zum Vorschein kam. Hier reihte er rund herum seine Funde auf. Er war da in einer Laubhütte, von der aus er zwischen den Stämmchen durch hinuntersehen konnte auf das Dorf, ohne selbst gesehen zu werden, und zwischen den niederhangenden Waldrebenranken aufs Feld, wo die knallroten Mohne, die blauen Kornblumen und die violetten Kornraden aus den wogenden Halmen herübergrüßten. –

Und weil er sich stille verhielt in seinem Versteck, taten die Singvögel, die seine Nachbarn waren, als wäre er gar nicht da. Er streute Brosamen vor den Eingang seiner Laubhütte, setzte sich ruhig unter die niederhangenden Zweige des Waldrebenvorhanges und begann wartend die Mauerpfefferzweiglein büschelweis an eine dünne Rute zu binden, um daraus ein Kränzlein zu machen, das Agi auf einem Teller ins Wasser legen sollte. Da ließen sich die Vögel vor ihm nieder, rotbrüstige Finken und gelbbäuchige Ammern. Er konnte sie aus nächster Nähe beobachten, wenn sie in lieber Geschäftigkeit ihre Mahlzeiten hielten. Und vom Feldrain kam eine Feldmaus herübergehuscht, hielt Nachlese, machte ein Männchen, netzte ihre Pfötchen mit dem Zünglein, wusch sich das Gesicht, den Nacken, die Ohren und biß dann eifrig in dem grauen Pelz herum, sorglos, als wäre sie bei ihrer Flohhatz unbelauscht. Und drüben auf dem granitenen Grenzstein, der von der Sonne durchwärmt war, sonnte sich eine Eidechse, deren Haut mit grünen und braunen, perlig schimmernden Schüppchen bedeckt war.

Lichtbraune Schmetterlinge trieben sich da herum, die hatten Augenflecke auf den Flügeln und taten gar nicht scheu. Einer setzte sich vor Koja auf ein Gänseblümchen, rollte den fadendünnen Rüssel auf und begann, die Blüte abzutasten. Da verfiel der Bub auf den Gedanken, auch den Schmetterling zu bewirten. Weil er für ihn nichts anderes hatte, netzte er den Zeigefinger seiner Rechten mit Speichel, schob den Finger recht sachte über die Blüte, so daß er den Saugrüssel des Schmetterlings berührte. Und was geschah? Der Schmetterling begann zu saugen, spazierte von der Blume auf den Finger, tänzelte da herum, hob und senkte die Flügel und schlürfte die Flüssigkeit in sich hinein Wenn der Leser mit einiger Vorsicht diesen Versuch wiederholt, so kann es ihm gelingen, auch Tagpfauenaugen, Admirale, ja sogar Schwalbenschwänze in dieser Weise zu bewirten. Das Vergnügen ist groß.. Koja hätte jubeln mögen. Er hatte einen zahmen Schmetterling!

Von solchen Freuden erzählte er daheim der Mutter und der Agi, aber er verheimlichte sie vor seinen Kameraden in der Schule. Solange er seiner Kleider wegen einsam sein mußte, sollte ihm keiner nachgehen.

Pfingsten, das Frühsommerfest kam. Maruscha und Schandor holten Koja zum Kirchgang ab. Und sie hatten neue Kleider an. Maruscha trug slowakische, Schandor ungarische Volkstracht. Beide hatten an den Füßen hohe weichlederne, schwarzglänzende Röhrenstiefel, deren Schaftränder mit Goldschnüren eingefaßt waren. Maruscha blähte sich förmlich vor Stolz über ihr weißes Kleidchen mit steifgestärktem, weit abstehendem Röckchen. Ihr blau und rot besticktes Hemd hatte spitzenbesetzte Bauschärmel und in die Zöpfe waren blau-weiß-rote Seidenbänder eingeflochten, deren Enden weit hinabflatterten. Schandor prangte in enganliegenden, grellroten, mit Schnurstickereien verzierten Hosen wie ein Husar. Er trug eine kurze, himmelblaue Jacke mit silbernen Knöpfen, von seinem runden Hütchen wehte ein ganzer Strauß grüner, roter und weißer Bänder. Koja gingen die Augen über von all den schreienden Farben. Das Prahlerische im ganzen Gehaben seiner Freunde tat ihm weh. Oh, hätte er damals daheim bleiben dürfen und nicht seine Armut zur Schau tragen müssen beim Kirchgang neben der Herrlichkeit der beiden andern! Aber wenigstens die Straße wollte er vermeiden. Übern Steg hinüber führte er die Geschwister und am Bache entlang wandelte er langsam mit ihnen der Kirche zu. Maruscha ging auf der Bachseite, neben ihr Schandor, und Koja am rechten Flügel. Schandor hatte seinen linken Arm um des Schwesterleins Schultern gelegt, und Kojas linker Arm lag auf Schandors Nacken. So wandelten sie in scheinbarer Eintracht dahin. Sie gingen im Zickzack. Koja drückte nach links, dann wieder gab er dem Gegendrucke der beiden nach. So bewegte sich die Dreierreihe hin und her, einmal nach dem Bache zu, einmal von ihm weg. Und als sie so recht im lustigen Hin und Her waren, gerade als Maruscha zu kichern anfing, drückte Koja ein wenig zu lange nach links. – Da purzelte Maruscha in den Bach, Schandor verlor seine Stütze und stolperte ihr nach, patsch, patsch. Koja aber hatte Zeit genug gehabt, dem Fallen zu widerstehen. Es war nicht schön von ihm, daß er schmunzelte, als er die beiden im Wasser plätschern sah. Es war häßlich von ihm, daß er ihnen lachend die Arme zur Hilfe entgegenstreckte, als sie über den Uferrand hinaufkletterten. Von den farbigen Bändern floß das Rot, das Blau, das Grün hernieder; Maruschas gestärkte Röcke waren zusammengefallen und klebten an ihr – es war eigentlich zum Weinen.

Über die Geschwister verklagten Koja nicht bei ihrer Mutter und nicht bei seiner Mutter; sie nahmen gar nicht an, daß er schuld wäre an ihrem Hineinfall. Da schämte er sich so arg, daß er der Agi und dann der Mutter alles beichten mußte, wie es gekommen war. Die Mutter holte die Birkenrute vom Kasten herab, legte sie aber wieder hinauf, denn Agis Augen baten für Koja um Vergebung. Schon am nächsten Tage kaufte die Mutter beim Kaufmann drei Ellen Rohleinen auf Borg und nähte ihrem Koja selber einen Anzug und Agi half bei der Ausfertigung. In dem konnte er sich auch neben Julie, Schandor und Maruscha auf der Gasse zeigen, ohne Scham und Neid. Es war das erstemal in Mutter Marias Leben, daß sie es gewagt hatte, einen Knabenanzug zu nähen. Not und Liebe hatten sie schneidern gelehrt.


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