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Der kleine Naturaliensammler.

Greift nur hinein in's frische volle Leben.
Und wo ihr's packt, da ist's interessant!

Goethe.

Einem munteren, lustigen Knaben erscheint die ganze große, schöne Gotteswelt, als sei sie zu seinem Vergnügen, zur Lust seines Herzens geschaffen. Droben mit den mächtigen Baumriesen, drunten mit den Steinen und Gewächsen, großen und kleinen Tieren schließt er Freundschaft. Ganz natürlich ist's dann, daß er seine guten Freunde auch immer bei sich behalten und sie, wenn sie im Freien sind, mit nach Hause nehmen will. Er legt sich deshalb eine Sammlung von ihnen an.

Mancher Knabe ist zum Sammler geboren. Schon als ganz kleiner Bursche war er entzückt, wie er die ersten Hosen mit Taschen bekam. Was sammelte er nicht alles darin! Fast täglich hatte die Mutter die strotzenden, aufgebauschten Taschen von den Schätzen zu befreien, und es währte geraume Zeit, ehe die guten Lehren und Ermahnungen, die jedesmal daran geknüpft wurden, den Sammeleifer etwas dämpften und in die richtige Bahn lenkten.

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Der kleine Naturaliensammler

In der Naturgeschichte später gefielen dem kleinen Sammler vorzugsweise diejenigen Geschöpfe, welche sich selbst durch ihren Sammeleifer auszeichnen. Raben und Elstern, welche mit Vorliebe bunte, glänzende Gegenstände in ihr Nest trugen, flößten ihm stille Bewunderung ein. Ebenso lauschte er nie aufmerksamer, als wenn erzählt ward vom Hamster, der sich Getreidesammlungen anlegt und diese gut zu ordnen versteht: in eine Kammer die Wicken, in eine andre die Erbsen, in diese den Roggen, in jene den Weizen. Vom großen russischen Reiche war ihm das Schobertier (Pfeifhase) am liebsten. Er würde sich nötigenfalls zu einer zeitweiligen Verbannung nach Sibirien verstanden haben, nur um Gelegenheit zu erhalten, die Vorräte zu sehen, die das Tier anhäuft und, die es vorher an der Sonne zum Trocknen ausbreitet.

Ein solcher sammelwütiger Knabe kann freilich mancherlei Unannehmlichkeiten haben, ehe er lernt, alles mit Maßen zu betreiben und neben dem Sammeln seinen Pflichten nachzukommen. So bereitete sich der berühmte, 1707 zu Råshult in Småland geborene Naturforscher Linné als Knabe viel Verdruß, als er aus Wald und Flur Pflanzen, Steine und Mineralien zusammentrug, statt im Zimmer hinter der lateinischen Grammatik zu sitzen. Sein erzürnter Vater wollte sogar, daß er das Gymnasium mit einer Schuhmacherwerkstatt vertausche, als glücklicherweise ein erfahrener Mann die bedeutende Begabung des Knaben erkannte und für dessen weitere Ausbildung sorgte. Später, als Linné die Wahrheit des Wortes: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! erkannt hatte, ward er einer der berühmtesten Gelehrten, der einen großen Teil von Europa durchzog, um Sammlungen anzulegen.

Wenn auch nicht jeder unsrer Spielkameraden, der Lust zum Sammeln von Naturgegenständen hat, ein Linné werden kann, so hat doch das Sammeln in der Natur selbst viel schätzenswerte Vorteile, wenn es nur in der richtigen Art und Weise betrieben wird. Schon das Marschieren und Streifen durch Feld und Wald ist gut für einen kleinen Burschen. Die frische Luft malt ihm rote Backen, und die Sonne kräftigt ihn. Alle seine Glieder arbeiten sich aus.

Hierzu kommt noch, daß beim Sammeln der Naturgegenstände alle Sinne sich üben. Wie schärft sich der Blick des Käfersuchers und des Pflanzenfreundes! Da, wo mancher Spaziergänger nichts sieht als eine grüne Wiese, unterscheidet der geübte Blick des Sammlers verschiedene Arten von Gräsern und hübsche, blühende Blumensorten dazwischen, er hat also viel Freude vor jenem voraus.

Wie schön erscheint dem aufmerksamen Sammler Wald und Dickicht! Er sieht und hört lauter Leben. Das Löchlein im Wege oder in der Rinde des Baumes verrät ihm den ausgeschlüpften Käfer. Das zusammengerollte Blatt am Strauche, das angefressene Kräutchen machen ihn aufmerksam auf die versteckte Raupe. Unter dem Moosrasen am Boden, oder dem Flechtenbüschel am Stamme entdeckt er die Schnecke und die Schmetterlingspuppe. Er verfolgt die Fußspuren des Hasen und Kaninchens, des Hirsches und Rehes und läßt sich von dem verborgenen Pfade des schlauen Reineke bis zum Eingang in dessen berühmte Waldburg Malepartus leiten. Schließlich haben sich Auge und Beobachtungsvermögen so geschärft, daß er's mit manchem Pfadfinder des »fernen Westens« aufnehmen könnte.

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Inneres eines zoologischen Museums.

Gleicherweise gewöhnt sich auch das lauschende Ohr an das Auffassen und Verstehen des mancherlei unbedeutenden Geräusches draußen im Freien. Der Naturfreund lernt den verschiedenen Gesang der kleinen, lustigen Burschen im Walde voneinander unterscheiden. Er hört dann genau, ob es eine Grasmücke, ein Laubsänger, ein Rotkehlchen, eine Drossel oder ein andrer gefiederter Musikant ist, der seine Lieder zum besten gibt. Ebenso unterscheidet er auch den gewöhnlichen Schlag des Vogels von seinem Lockruf, von einem Angstschrei oder von dem zornigen Gezänk, das die Sänger mitunter verführen.

An das Sammeln schließt sich innig das Ordnen an, welches sich um so notwendiger erweist, je mehr Arten die Sammlung umfaßt. Was wäre denn für einen Knaben vorteilhafter für sein ganzes Leben, als daß er lernt, alles hübsch in Ordnung zu halten! Was er hier bei einer Beschäftigung lernt, kommt ihm bei einer andern zu gute. Wer seine Steine, Pflanzen und Schmetterlinge in musterhafte Ordnung zu bringen und darin zu erhalten versteht, wird auch lernen, seine Bücher und Gedanken in Ordnung zu bringen.

Vom Ordnen der Sammlungen bis zum schönen Einrichten derselben ist nur ein Schritt; deshalb hat das Anlegen von Naturaliensammlungen auch für denjenigen großen Vorteil, der sich nicht zum späteren Naturforscher ausbilden will. Wer als Knabe sich übt, seine Pflanzen, seine Insekten oder seine Gesteine in geschmackvoller, angenehmer Weise aufzustellen, wird auch später lernen, als Kaufmann sein Schaufenster musterhaft einzurichten, als Handwerker seinen Erzeugnissen ein gefälliges Äußere zu verleihen oder als Hausherr zum Nützlichen in seiner Umgebung das Schöne zu fügen.

Wie viel schöne, gefällige Formen treten dem aufmerksamen Beobachter in Feld und Hain entgegen, die dem späteren Künstler, wie dem Handwerker, als Vorbilder vorschweben werden.

Sind nicht die großen Weltausstellungen der Jetztzeit auch Sammlungen von Natur- und Kunstgegenständen, ausgeführt von vielen Völkern? Sie würden nie entstanden und ins Werk gesetzt worden sein, wenn nicht der Sammeleifer dem Menschen angeboren, wenn dieser nicht genährt und nach mancherlei unvermeidlichen Irrungen in eine vernünftige Bahn gelenkt worden wäre, die eben so dem Einzelnen wie dem Gesamtwesen, eben so dem Alter wie der Jugend zum Besten gereicht!

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Die Natur als Lehrerin des Künstlers.
Akanthus (Bärenklau) in der Natur.                Akanthus in der Kunst.


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