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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Donald McNabs Zusammenbruch

Pinner wurde verhört und legte ein volles Geständnis ab, obgleich er in einem der zwei Fälle, an welchen er beteiligt war, nicht mehr aussagen konnte, als die Polizei schon vermutet hatte.

Er gab zu, Taplow aus Haß getötet zu haben, und beschrieb genau, wie er auf dem Rückweg von einem maskierten Manne und seinen Begleitern gepackt worden war, ferner schilderte er die Unterhaltung, die dann gefolgt war. Keine dieser Angaben ließ erkennen, wer der Mann war, der sich der »Würger« nannte. Wie Pinner angab, war er meist nachts erschienen und stets gut maskiert gewesen, daß es unmöglich war, mehr als eine allgemeine Beschreibung zu geben. Und diese, das wußte Bromley Kay schon zu seinem Kummer, würde auf ein halbes Dutzend Männer seiner Bekanntschaft passen.

Pinner ging nicht zum Schafott. Er wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt, und wegen bestimmter wertvoller Dienste, die er leisten konnte, wurde seine Haft noch weiter verkürzt. Aber all das hat nichts mit dieser Geschichte zu tun. Pinner hat seine kleine Rolle ausgespielt, und darum kann er abtreten.

Wenigstens war es nun ganz außer Zweifel, daß der »Würger« für die Morde in dem Nachtzug verantwortlich war und daß er die Beute erhalten hatte, um seine Kampfmittel zu vergrößern. Aber der Mensch selbst blieb immer noch in Dunkel gehüllt.

Mit dreien oder vieren seiner engeren Mitarbeiter war der Mann verschwunden und alle Versuche, ihren Aufenthalt zu ermitteln, mißlangen. Der Haupteindruck war, daß sie einen neuen großen Schlag planten. Seine Taten waren eigentlich nicht bewundernswert. Selbst die geschicktesten zeigten einen Zug von Gemeinheit, aber es war nicht zu leugnen, daß sie überraschend kamen und Sensation erregten. Auch sein größter Feind mußte zugeben, daß er sehr verwegen war. Man brauchte nur an die Art seiner Flucht in der Nacht der erfolglosen Razzia zu denken. Eine solche Tat erforderte Mut, Nerven und Geistesgegenwart.

Die ausgesetzte Belohnung hatte keinen Erfolg gehabt. Es gab ohne Zweifel viele Leute, die gern bereit gewesen wären, Informationen zu geben – denn 500 Pfund waren ein gutes Stück Geld – aber die Auskünfte waren vollkommen wertlos. Der »Würger« hatte seine Spur zu gut verwischt. Er blieb verborgen, und seine Person war ein Geheimnis wie in der ersten Nacht, da er seine Taten begann.

Durch gewisse Nachrichten, die auf Umwegen nach Scotland Yard kamen, erfuhr man, daß Donald McNab seine Wertpapiere und all seine Wertsachen zu Geld machte. Obgleich der Kommissar die Meinung Emmersons über den Mann nicht teilte, blieb Donald McNab doch auch ihm verdächtig. Alles, was nach Flucht aussah, erforderte in diesem kritischen Augenblick sofortiges Handeln.

Die Angelegenheit wurde von Sir Gregory Haverstock und seinem Kollegen nach den verschiedenen Seiten hin besprochen, als George Emmerson eintrat und über den Verlauf der Ereignisse unterrichtet wurde.

»Daß weiß ich,« sagte er kühl. »Ich habe ihn schon einige Zeit beobachtet.«

»Warum?« fragte Sir Gregory.

Emmerson lächelte. »Ein Mann wie McNab ist immer wert, daß man ihn beobachtet,« antwortete er. »Sie wissen natürlich, daß er die Briefe für den ›Würger‹ schreibt?«

»Was?« Sir Gregory Haverstock erhob sich halb, und Bromley Kay sah ihn erstaunt an.

»Woher, zum Teufel, wissen Sie das?« fragte er.

Emmerson schwieg verlegen.

»Nun,« sagte er schließlich, »ich vermute, meine Methoden sind nicht ganz korrekt, aber Sie müssen zugeben, daß ich Erfolge aufweisen kann.«

»Schenken Sie uns ruhig klaren Wein ein! Wie haben Sie es gemacht?« fragte Sir Gregory.

Emmerson holte tief Atem: »Ich habe McNab einige Briefe aus der Tasche gestohlen.«

» Was taten Sie?« fragte Sir Gregory empört.

»Ich habe Taschendieb gespielt,« wiederholte Emmerson. »Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich nicht immer sehr korrekt bin.«

»Sie hätten ihn verhaften lassen können,« sagte Sir Gregory ernst.

»Ich bin sicher, daß ich dann nichts gefunden hätte,« erklärte Emmerson. »So, wie es war, sah ich meinen Vorteil und nutzte ihn aus. Es fielen mir die Liste der Mitglieder und andere Schriftstücke in die Hände.«

»Wir erhielten eine Liste der Mitglieder anonym zugeschickt,« sagte Bromley Kay verdrießlich.

Emmerson nickte. »Das weiß ich. Ich habe sie Ihnen zugesandt.«

»Aber warum taten Sie das, anstatt sie uns direkt auszuhändigen?« fragte Kay.

»Es ersparte mir ungelegene Fragen,« antwortete Emmerson, »und gestatte mir, die Erkundigungen auf meine Weise fortzusetzen, ohne irgendwie gehindert zu werden. Wenn Sie gewußt hätten, woher die Liste kam, hätten Sie unangenehme Fragen gestellt, die ich zu dem Zeitpunkt nicht gerade gern beantwortet hätte.«

»Das wäre eine Angelegenheit gewesen, über die wir entschieden hätten,« unterbrach Sir Gregory ihn in aufgeregtem Ton.

»Das dachte ich mir. Und darum nahm ich mir die Freiheit, selbst Entscheidung zu treffen.«

»Darf ich fragen,« fiel Kay höhnisch ein, »welche weiteren Ergebnisse Ihre derartigen Methoden hatten?«

»Ich komme schon dazu. Zunächst klärt sich der Fall Camden Hales auf.«

»Das ist schon eine alte Geschichte.«

»So? Ich weiß nicht viel darüber. Aber ich fange jetzt an, die Zusammenhänge zu ahnen. Nämlich Camden Hales erste Frau ...«

»Seine erste Frau? Was meinen Sie damit?« fragte Sir Gregory überrascht.

»Er war schon einmal verheiratet, bevor er seine jetzige Frau nahm,« fuhr Emmerson unbeirrt fort, »die Dame entsprach nicht ganz seinen Erwartungen, und er löste das Problem einfach dadurch, daß er sie verließ. Später zahlte er ihr eine laufende Unterstützung, damit sie nicht wieder auf der Bildfläche erschien. Sie schien darüber nicht zu trauern. Das einzige, worum sie sich sorgte war, wie sie genug Geld bekäme, um sich totzutrinken. Das sind die Tatsachen, die ich erfuhr. Ich vermutete, daß nun folgendes geschah:

Irgendwie hat entweder der ›Würger‹ oder McNab – es ist ziemlich gleichgültig, welcher von beiden – die Tatsache von der früheren Heirat Hales entdeckt und angefangen, ihn zu erpressen. Sehr wahrscheinlich waren die tausend Pfund, die Hale am Tage seines Todes abhob, die vereinbarte Summe. Nach dem, was geschehen ist, sieht es so aus, als ob der ›Würger‹ das Geld von ihm forderte und Hale ihm eine Falle stellte. Ich kann nicht genau sagen, was für eine Falle es war, aber es scheint so, als ob er beabsichtigte, den Erpresser als Einbrecher zu behandeln und den Anschein zu erwecken, ihn in Notwehr erschossen zu haben. Aber der ›Würger‹ erfuhr von Hales Absicht und drehte den Spieß um. Das ist die einzige befriedigende Erklärung, die ich finden kann.«

»Das ist alles sehr interessant,« sagte Sir Gregory, »aber ich wüßte doch gern, wodurch Sie zu diesen Schlüssen gekommen sind.«

»Ich denke, diese Schlüsse sind vollkommen richtig,« sagte Kay ruhig, und der Chef sah ihn erstaunt an.

»Warum meinen Sie das?« fragte er.

»Ich kann keine andere Erklärung finden, die zu den Tatsachen paßt,« entgegnete Kay.

Sir Gregory überlegte.

»Das ist alles sehr seltsam,« sagte er schließlich.

»Wenn Sie mit einem außergewöhnlichen Menschen zu tun haben, müssen Sie auch einen außergewöhnlichen Maßstab anlegen,« erwiderte Emmerson.

Der Kommissar antwortete nicht darauf. Statt dessen fragte er: »Was gedenken Sie nun zu tun?«

»Ich bitte um einen Haftbefehl für Donald McNab, alias Noah Baxeter, alias Abraham Moß.«

»Und welche Verbrechen legen Sie ihm zur Last?«

»Bandenbildung und Erpressung.«

»Haben Sie genug Beweise, um ihn zu überführen?«

»Mehr als genug. Aber das ist im Augenblick noch gar nicht meine Absicht. McNab hat nicht die leiseste Ahnung, wer der ›Würger‹ ist, aber er ist die rechte Hand des Burschen, und seine Verhaftung könnte den andern veranlassen, eine übereilte Handlung zu begehen, die uns vielleicht gestattet, ihn festzunehmen.«

»Sie sollen den Haftbefehl erhalten,« versprach Sir Gregory. »Haben Sie übrigens eine Ahnung, wer der ›Würger‹ ist?«

»Ich habe eine Ahnung, daß die Feststellung seiner Person vielen von uns eine unangenehme Überraschung sein wird,« sagte Emmerson langsam.

Er vermied es absichtlich, den andern in die Augen zu sehen.

Einige Minuten später, als Emmerson gegangen war, sagte Sir Gregory nachdenklich:

»Dieser junge Mann wollte uns, soweit es ihm möglich war, immer im Dunkeln lassen, ja, er scheute sich nicht, uns fast Lügen aufzutischen.«

Bromley Kay nickte zustimmend; denn ihm war derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen.

*

Es blieb weiter nichts mehr zu tun übrig. Ein Haufen weißer Asche zeigte, was aus der schriftlichen Hinterlassenschaft J. Greens und Donald McNabs geworden war. Aus der Asche des Scheiterhaufens erhob sich plötzlich phönixgleich ein gewisser Mr. Milner Rowlton, bemerkenswert nur durch eine schwache Ähnlichkeit mit Donald McNab.

Der Koffer auf dem Tisch trug, obgleich er erst an diesem Morgen von Donald McNab gekauft worden war, auf dem neuen Leder die Initialen »M. R.« Das Schiffsbillet, das in der Brusttasche seines Rockes steckte, war auf den Namen Milner Rowlton ausgestellt, und der Paß nach Argentinien lautete auf denselben Namen.

Dieser Milner Rowlton, der sich in Donald McNabs Büro befand, hatte große Ähnlichkeit mit diesem. Gewitzt durch lange Erfahrung, hatte er zu dieser Maßnahme gegriffen und sein Äußeres wie ein Chamäleon verwandelt, um so der Gefahr zu entgehen. Ohne – wie er glaubte – Verdacht zu erwecken, hatte er eine Anzahl Konten, die er unter verschiedenen Namen bei mehreren Londoner Banken besaß, aufgelöst. Die Konten hatten sich in Kreditbriefe und Banknoten verwandelt, und er hatte eine hübsche Summe in den Händen, als er sich entschloß, den Staub Englands von den Füßen zu schütteln und ein verheißungsvolles Land aufzusuchen, wo seine besonderen Fähigkeiten vielleicht ein größeres Betätigungsfeld finden würden.

Donald McNab besaß die Gabe, wie ein Kriegsroß die Schlacht von ferne zu wittern, und seit einigen Tagen hatte er gemerkt, daß Gefahr drohte. Die letzte Maßnahme der Polizei hatte ihn in seiner Ansicht bestärkt, und obgleich er die Gegenkräfte durchaus nicht unterschätzte, glaubte er jedoch nicht, daß sie jetzt schon zum entscheidenden Schlage ausholen würden. Sie suchten vor allen Dingen den ›Würger‹, nicht ihn. Darum war jetzt die richtige Zeit zur Flucht.

Früher oder später würden die Fäden seiner Verbindung mit dem »Würger« bloßgelegt werden, und wenn man alles in Betracht zog, war es besser, daß möglichst viel Wasser zwischen ihm und Scotland Yard lag, wenn das befürchtete Ereignis eintrat. In etwas mehr als ein und einer halben Stunde würde er im Zuge sitzen, der ihn zum Schiff bringen sollte, und er würde ohne Bedauern das Bild Londons am Horizont verschwinden sehen.

Ein enttäuschter Polizeioffizier in Hoboken stellte einmal fest, daß Donald McNab, den er unter einem anderen Namen kannte, immer der Verhaftung entging, weil er der Polizei jedesmal ein Ende voraus war. Dasselbe hätte die Polizei sagen können, die Donald McNabs Haus aufsuchte und es verschlossen fand. Ein Sergeant, der das Büro des Geldverleihers, ungefähr drei Stunden, nachdem es McNab für immer verlassen hatte, betrat, bezeichnete es anders und treffender.

»Der Vogel ist ausgeflogen,« sagte der Sergeant kurz und fügte eine Bemerkung hinzu, die wir nicht wiedergeben wollen.

Dann beugte er sich nieder zu dem Rost und zog aus der Asche einen halb verbrannten Briefumschlag. Donald McNab hatte ihn im letzten Augenblick ins Feuer geworfen und in seiner Hast nicht gewartet, bis er ganz zerstört war. Das war ein taktischer Fehler gewesen.

Die Adresse war kaum noch zu lesen, aber – was viel wichtiger war – man konnte noch die Flagge einer Dampfergesellschaft auf dem Umschlag erkennen.

»Mr. Milner Row ... oder so ähnlich,« sagte der Sergeant und ging zum nächsten Telefon, um die Entdeckung der Polizei mitzuteilen.

Jetzt, da Scotland Yard einen bestimmten Anhaltspunkt hatte, erzielte es überraschend schnelle Erfolge. Obgleich es schon nach Geschäftsschluß war, wurde der Direktor der Reederei vom Essen fortgerufen, um mit einem Beamten von Scotland Yard zu telefonieren. Bromley Kay und George Emmerson fuhren schleunigst in das Büro und prüften zusammen mit dem Direktor die Passagierliste, aus der hervorging, daß ein Mr. Milner Rowlton eine Überfahrtskarte für die »Contra Costra« gelöst hatte, und der Angestellte, der in der Hoffnung gerufen worden war, daß er bei den Feststellungen nützlich sein könnte, gab noch weitere Auskünfte. Man zeigte ihm eine Fotografie von Donald McNab, und er bestätigte, daß sie dem betreffenden Mann ähnlich sei, obgleich er es nicht beschwören konnte.

Was die Polizei betraf, hatte sie jedoch noch keinen endgültigen Beweis, daß Donald McNab wirklich »Mr. Milner Rowlton« war. Es war ebenso wahrscheinlich, daß der »Würger« das Land in dieser Maske verlassen wollte und die Besorgung der Überfahrtskarte Donald McNab überlassen hatte, und daß dieser selbst sich in einer ganz anderen Gestalt verborgen hielt. Diese Überlegungen vergrößerten die Schwierigkeiten der Polizei und erfüllten sie mit der Unsicherheit, die ein Urteil hastig und unzuverlässig macht.

George Emmerson betrachtete die Situation mit einem lachenden und einem weinenden Auge und gab dieser Stimmung Bromley Kay gegenüber Ausdruck. Sie hatten den besten Teil des Abends damit verbracht, von einem Ort zum andern zu jagen; der Kommissar hatte darauf bestanden, dabei zu sein, wenn der »Würger« bei seiner letzten Tat ertappt wurde!

»Sie sind immer noch nicht ganz frei von dem Verdacht, daß ich der Mann bin,« sagte George Emmerson lachend.

»Selbst wenn diese Vermutung richtig wäre, was nicht der Fall ist, so kann ich nicht einsehen, was dabei zu lachen ist,« sagte Kay mit verzeihlicher Verstimmung; er liebte es nicht, daran erinnert zu werden.

»Können Sie sich denken, daß ein Mann wie der ›Würger‹ Maßnahmen anordnet, die geeignet sind, seine Bande zu zerstören?« entgegnete Emmerson. »Das wäre eine feine Art den Rückzug zu decken.«

»Das ist eine Angelegenheit, über die ich nicht streiten will. Viel wichtiger ist: Wie fassen wir McNab? Denn ich glaube, er ist geflohen, und nicht der ›Würger‹.«

»Wenn Sie ihn wirklich wiedersehen möchten,« sagte Emmerson lebhaft, »dann schlage ich vor, daß wir so schnell wie möglich nach Scotland Yard zurückkehren. Wir haben noch ungefähr eine Stunde, um schnell zu telefonieren und die übrigen notwendigen Anordnungen zu treffen. Gott sei Dank läuft die ›Contra Costa‹ nicht Cherbourg an, sonst würden Sie den Mann nie wiedersehen. Ich zweifle sehr daran, daß Sie imstande wären, ihn drüben zu erwischen, und ich bilde mir ein, daß ein Funktelegramm an das Schiff vollkommen nutzlos wäre.«

»Was reden Sie da?« sagte Kay gereizt. »Wenn Sie einen Plan haben, der die Spur einer vernünftigen Möglichkeit enthält, dann werde ich ihn gern sofort hören. Wenn nicht, hören Sie bitte auf zu schwatzen!«

»Natürlich habe ich einen Plan,« sagte Emmerson überlegen, und er fuhr fort, den Plan zu entwickeln, der ihm eingefallen war. Es war keine sehr glänzende Idee, der einzige Vorteil lag in der Tatsache, daß sie sofort ausführbar war.

In den frühen Morgenstunden ging Donald McNab auf Deck der »Contra Costa« auf und ab und blickte von Zeit zu Zeit nach den verblassenden Lichtern der englischen Küste, die er für immer verließ.

Er war erst spät an Bord des Schiffes gegangen, und von Tilbury bis zum Kanal war die Reise ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Aber er hatte nicht schlafen können. Voraussichtlich konnte nichts schief gehen, aber bevor nicht der letzte feine Strich der Küstenlinie unter dem Horizont verschwunden war, blieb er unruhig. Später würde er schlafen können, soviel er nur wollte.

Die Schiffsoffiziere bemerkten seine Unruhe, obgleich keiner ihn besonders beachtete oder sich um ihn kümmerte. Sie waren viel zu viel an den Typ des sentimentalen Reisenden gewöhnt, der die ganze Nacht aufbleibt, um einen letzten Blick auf das Land zu werfen, das er hinter sich läßt, als daß sie ihm mehr als einen flüchtigen Blick gönnten.

Aber kurz, bevor die Morgendämmerung hereinbrach, wurde das Stampfen der Maschinen schwächer, und das Schiff steuerte auf die Küste zu. Eine entfernte Lichterreihe bezeichnete eine Stadt.

Ein Offizier eilte vorüber, hielt aber auf ein Wort von Milner Rowlton an. »Ja, wir nehmen Kurs auf Dover, aber wir legen nicht an. Wir lassen nur den Lotsen von Bord. Das Boot dort mit den roten und grünen Lichtern ist das Lotsenboot. Sie werden es gleich deutlicher sehen.«

Er eilte weiter, und Milner Rowlton, vom Kopf bis zu den Füßen warm eingehüllt, lehnte sich über die Reeling und beobachtete die näherkommenden Lichter, die mit dem Schiff auf und ab tanzten.

Der Lotse, mit Ölzeug und Südwester, kam von der Steuerbrücke und stand neben der Strickleiter, um die Barkasse zu erwarten, die ihn fortbringen sollte. Nun erschienen einige Offiziere. Einer von ihnen warf einen seltsamen Blick auf Milner Rowlton und sprach dann mit leiser Stimme zu seinem Begleiter.

Die Barkasse legte sich neben das stampfende Schiff. Jemand angelte mit einem Bootshaken nach der schaukelnden Strickleiter und machte sie fest. Aber der Lotse machte keine Anstalten hinunterzuklettern, und Milner Rowlton, der sich über die Reling beugte, konnte die Ursache sehen.

Zwei Männer erklommen die schwankende Leiter, nicht mit der Ruhe eines geübten Seemanns, sondern in der langsamen, unbeholfenen Art derjenigen, die diese Art des Steigens nicht gewohnt sind.

Der erste der beiden Männer kletterte auf das Deck und sprach mit dem ersten Offizier. Als der zweite oben ankam, wurde er angerufen. Dann schritten beide auf Milner Rowlton zu.

Milner Rowltons Herz setzte aus; denn jetzt erweckten die beiden Neuangekommenen in ihm eine unbestimmte Furcht.

Einer von ihnen kam auf ihn, zu, und nach kurzem Zögern folgte ihm sein Begleiter.

»Mr. Milner Rowlton?« fragte der erste, und der Angesprochene nickte. Er war seltsamerweise nicht imstande, das einfache Wort »Ja« auszusprechen.

»Mein Name,« sagte der andere schnell, »ist Standard. Ich habe den Auftrag, Donald McNab, genannt Milner Rowlton, als Erpresser und Mitglied einer Verbrecherbande festzunehmen. Wollen Sie gutwillig folgen?« Er hätte die Frage nicht zu stellen brauchen; McNabs Gesicht wurde grau, wie vom Blitz getroffen fiel er zu Boden.

Das schwache Herz, von dem er zu George Emmerson gesprochen hatte, war doch keine bloße Erfindung gewesen.


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