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In Schweden

Die beiden Menschen fühlten sich ganz und gar nicht verlassen, als sie die seeländische Küste hinter sich hatten und in das Ungewisse hineinsteuerten. Fischhaken und den Bogen hatte Gast wie immer bei sich, und es war, als ob er sich erst von den Wohnorten der Menschen entfernen mußte, um den Besitz des Messers und der Axt aus Bronze so recht zu genießen. Sie genügten ihm vollkommen als Anteil an den Herrlichkeiten des reichen Tales, das er jetzt verließ. Erstaunlich, was diese neuen Gerätschaften ausrichten konnten, er hatte sich alles gemerkt; die großen, schönen Holzhäuser, die sich ihm verschlossen, konnten anderswo zu Wirklichkeit werden, auf freiem Boden, auf den niemand außer ihm Anrecht hatte. Er wollte Bauer werden, hatte sich in seinem Kopf alles aufgeschrieben, was dazu gehörte.

Er erzählte Skur lachend, welch Glück er gehabt hatte, die beiden Dinge aus Bronze zu erwerben. Er hatte sie selbst gegossen und geschmiedet, um Einsicht in die Natur des Metalles zu gewinnen, und für die Lehre hatte er bezahlt – alles mußte ja bezahlt werden –, aber auch für das kostbare Metall mußte er bezahlen, und die Axt hatte Gewicht. Was aber glaubte sie, daß er für das Ganze bezahlt hatte? Einen Stein, einen ganz kleinen, blanken Stein, den er einst auf der Reise aufgenommen und bewahrt hatte, weil er rot war; als der Metallschmied diesen Stein sah, war er selbst glühend rot am Kopf geworden und hatte ihm für den Besitz des Steines soviel Metall aufgeladen, wie er nur tragen konnte – ja, ja, es gab törichte Leute. Und Gast lachte gewaltig über den Toren, der ein Messer und eine Axt aus Bronze für einen Stein hingab.

Doch auch Skur verließ das Land nicht ohne Besitz, denn neben ihr im Boot stand ein kleiner Sack mit Saatkorn, den sie wie ihren teuersten Schatz hütete; sollte er doch dort, wo sie zu wohnen kommen würden, in einem Acker wiedererstehen, wenn die Erdgeister und der Himmel ihren Segen dazu gaben; im Arm aber hielt sie zwei junge Ziegen, ein Pärchen, das ihr gehörte und das sie bei der Flucht mitgenommen hatte. Gern hätte sie auch ihre Kühe mitgenommen, aber sie gehörten ja nicht ihr und hätten im Boot keinen Platz gefunden. Die Ziegen machten ihr schon Mühe genug, sie hatten Angst vor dem Wasser und wollten über Bord springen; schließlich mußte sie ihnen die Füße zusammenbinden und sie behutsam auf den Boden des Bootes legen.

Lange dauerte es indessen nicht, bevor sie an einer anderen Küste an Land gehen und die Ziegen jeden Tag etwas weiden lassen konnten, und nach und nach gewöhnten sie sich an die Wasserfahrt und verhielten sich ruhig im Boot. Gast strebte von Seeland fort zu dem großen Land Schweden hinüber, von dem er gehört hatte, wo er aber noch nicht gewesen war. Er kreuzte über den Sund an seiner schmalsten Stelle, bei ruhigem Wetter ein Kinderspiel selbst für einen schwergeladenen Eichenkahn, und als er drüben war, ruderte er nördlich an der Küste und der niedrigen Gebirgskette entlang, die sich wie ein Vorposten ans Meer schob; es war seine Absicht, nach einem Fluß zu suchen, der ihn ins Innere des Landes führen konnte. Nach Süden wollte er nicht, denn er wußte, daß ganz Schonen und die Küste längs der Ostsee sehr bevölkert waren, und wie auf all seinen Reisen, zog es ihn nicht zu Menschen.

Wenn sie an der Küste Rauch sahen oder anderes, was auf die Anwesenheit von Menschen deuten konnte, ruderten sie im Bogen um den Ort herum oder lagen bis zum Anbruch der Nacht in einem Versteck. Dem ersten größeren Fluß, auf den sie stießen, nachdem sie die Landzunge umschifft hatten, folgten sie aufwärts und fanden die Ufer menschenleer; nachdem sie aber ein paar Tage flußaufwärts gefahren waren, sahen sie Gedärme mit dem Strom treiben und machten kehrt, denn sie erkannten daraus, daß Menschen weiter flußaufwärts wohnten. An dem nächsten Fluß, der weiter nördlich an der Küste mündete, fanden sie auch Menschen, stießen unvermutet in einem Winkel zwischen den Klippen, wo sie sich selbst verstecken wollten, auf ein Boot aus Häuten; die Leute im Boot aber waren viel erschrockener als sie, stellten sich tot und blieben unbeweglich auf dem Boden ihres Bootes liegen, mit offenem Mund, während das Weiße ihnen aus den Augen trat. Es waren ihrer zwei, kleine Menschen mit struppigem, schwarzem Haar und hellroten Mundwinkeln, sehr fett; sie hatten Lachse im Boot und waren offenbar Fischer. Nichts von ihrem Besitztum war aus Metall. Auch an diesem Fluß fuhr Gast vorbei.

Der nächste aber, ein großer, ziemlich reißender Strom, sah nicht sehr besucht aus; an den Ufern lagen überall die umgestürzten, morschen Bäume aus dem Walde ganz unberührt; man konnte sehen, daß hier nur wenige oder gar keine Menschen an Land gingen, um Feuer zu machen. Diesem Fluß folgten sie viele Tage, tiefer und tiefer ins Land hinein, zwischen weglosen Wäldern, nicht Hochwald, sondern leichten, freundlichen, offenen Birkenwäldern, von Mooren und Lichtungen unterbrochen, mit steinigem Boden und haushohen, verstreuten Blöcken, hin und wieder felsigem Grund. Dort war es weit und offen; gewundene Täler und Höhen, die Ausblick gewährten, ein gesegnetes Land für das Wild, urstill, recht nach Gasts Herzen. Hier, fühlte er, war die Natur jünger, hier wollte er bleiben.

Tief drinnen im Lande, wo der Fluß sich verengte aber noch fischreich war, mit Spuren von Elentieren an seinen Ufern, fanden sie eines Nachts Herberge unter gewaltigen Steinblöcken, die sich zu einer Grotte zusammenschlossen; dort blieben sie, das wurde ihr erstes Haus in dem neuen Lande. Die Ziegen kletterten gleich auf die Felsen, nachdem sie an Land gesetzt worden waren, kletterten, so hoch sie auf dem Hause kommen konnten und schienen zufrieden; auch ihnen gefiel das neue Land wohl. Gast machte Streifzüge durch den Wald mit seinem Bogen, und wenn er zu Hause blieb, fällte er Bäume für ein Haus; die neue Axt leistete ihm erstaunliche Dienste. Skur suchte sich ein Stück ebener Erde, das zu einem Acker verwandt werden konnte, wenn man die schlimmsten Steine entfernte, und machte sich sogleich an die Arbeit, schleppte mit Riesenkräften große und kleine Steine vom Felde und baute daraus einen Zaun um den gerodeten Platz, der einige zwanzig Schritte breit und lang war, an Form weder rund noch viereckig; das war ihr erster Hof.

Rings herum, in meilenweitem Umkreis, war der Wald unbebaut; dessen vergewisserte Gast sich auf seinen langen Jagdausflügen, sie waren allein in diesem Teil des Landes. Nach der einen Seite grenzte das Land in weiter Ferne an große Seen, die Gast nicht näher untersuchte, nach der anderen, mehrere Tagereisen weit, hob es sich zu langen, niedrigen Bergkuppen, die bis spät in den Sommer hinein von Schnee bedeckt waren, die kalte Ecke des Landes; aus jener Richtung holte Gast sich ein Renntier, wenn sie Nahrung bedurften.

In ihrer nächsten Nähe im Walde aber lebte das Elentier; seine breiten Schaufeln, die gewaltigen Händen mit gespreizten Fingern glichen, pflegten zwischen dem Laub in den niedrig gelegenen, nassen Waldmooren aufzutauchen. Gast schreckte es nicht fort, es durfte ungestört, ohne Hundegebell leben; Gast jagte ohne Hund, und für gewöhnlich lebte er ebenso still im Walde wie die Tiere. Nur ein paarmal im Jahre erschlug er einen Stier, und dann geschah es so plötzlich wie der Blitz; der Stier hatte den Schaft in sich und streckte sich, ohne zu wissen, was ihm geschah und ohne zu leiden; Gast wollte leben, aber keinen quälen. Er brauchte auch nie lange auf die Suche nach Wild zu gehen.

Wenn er zu Hause war, zimmerte er in einer hübschen Balkenstube im Schutze der großen Steinblöcke, die ihnen zuerst Obdach gewährt hatten; von Skur lernte er Ackerbau, und im Laufe der Jahre vergrößerten sie ihren Hof durch mehrere kleine Felder, die sie mit den Steinen, von denen sie das Land säuberten, einfriedigten. Mit der Zeit bauten sie mehr Korn, als sie verzehren konnten. Aus dem Ziegenpaar war eine ganze Herde geworden. Sie selbst zeugten eine Schar Kinder.

Hier fühlte Gast sich zu Hause. Über seinem Kopfe sauste der Wind in den weiten, weiten Wäldern, kam mit Gebraus von weither durch die Bäume, sauste vorbei und verlor sich in anderen rauschenden Bäumen in der Ferne; wenn er vorbei war, richteten die Birken sich auf, schüttelten ihr Laub und kamen wieder zur Ruhe; es war der Weitergott, der kalte, ruhelose, der unsichtbar vorübereilte. Gast aber blieb.

Über seinem Kopfe standen sonnenbeschienene Vogelbeerbäume. Es gab viel für ihn zu tun, mußte er doch Holzlöffel für die vielen Münder schnitzen, die sie nach und nach auf dem Hofe geworden waren, und Holzbütten für Skur aus gemasertem Birkenholz; der ganze Winter verging mit Arbeit, alles, was sie besaßen, hatten sie ja selbst verfertigt.

Gast meinte, daß er sich Bauer nennen konnte, nachdem mehrere Jahre vergangen waren, und sie Häuser und Ställe auf dem Hof besaßen, mit Ackern ringsum, unregelmäßig an Form und dem hügeligen Boden folgend, mit schweren Steinen hier und dort zwischen dem Korn, aber ergiebig, und die Acker konnten jederzeit durch andere erweitert werden. An Haustieren besaßen sie nur die Ziegen, und Skur seufzte viele Jahre nach Kühen, von Schafen gar nicht zu reden, denn das struppige Ziegenhaar war ja mit Wolle nicht zu vergleichen; Gast träumte von ein paar Pferden; doch das alles kam wie von selbst, als die Kinder erst groß waren.

Skurs Sprößlinge, lauter rothaarige, sommersprossige und lebenstüchtige Kinder, wurden in der Stube neben den großen Steinblöcken geboren. Die Welt begann für sie vor der Tür, auf einem Platz, der mit einer Steinmauer umgeben war und auf dem mehrere kleine Häuser standen, zwischen denen sie ihre ersten Gehversuche im Freien machten, mit den jungen Ziegen als Spielkameraden; später erstreckte die Welt sich ganz bis zu den gerodeten Feldern, und schließlich kamen der Bach und der Wald; sie waren noch Kinder, als sie sich schon auf Entdeckungsreisen in den Wald wagten.

Die Heide nahm sie in Empfang und breitete rauhe Betten für sie aus, wo es sich an Sommertagen herrlich ruhen ließ, mit Kräuterduft und der Offenbarung eines Vogelnestes in einem moosigen und gefütterten Versteck; die Himbeerwildnis nahm sie in ihrem sonnigen Winkel auf, aus dem nur der Hänfling herausragte; auf steinigen Lichtungen mit Windfallen und tiefen Mooskissen deckten Kronsbeeren und Bickbeeren ihnen den Tisch, und dort »eroberten sie Land«, Menschlein, die sie schon waren, wer zuerst einen Erdhaufen oder Baumstumpf mit besonders vielen Beeren entdeckt hatte, eignete ihn sich mit großen Armbewegungen an, nicht einmal Geschwisterrücksicht sprach bei solchen Gelegenheiten mit, und das Erstrecht wurde immer geachtet.

Alles, was auf der Erde lebte, wurde ihnen vertraut, die Ameise, so klein, aber so mörderisch, die zornige Biene, die Larve, die zottig ihres geschlängelten Weges kroch, die Spinne, die sich mit Verstand in ihrem Gespinst von Faden zu Faden spann, die schwarze Schnecke, die Schleim auf ihrem Wege hinterließ und sich klein machte, wenn man sie berührte. Vogelkundig wurden sie und grüßten überall im Walde Freunde, die Bäume kamen ihnen mit ihren verschiedenen, lebenden Seelen entgegen.

Und die Jahreszeiten wechselten über ihren Köpfen, die harten Winter, wenn Dunkelheit und Schnee sich mannshoch vor ihre Türe legte und den Wald aussperrte; aber auch von ihm lernten sie Freuden, sausten auf selbstgefertigten Schlitten die Anhöhen hinunter und gingen mit langen Holzschienen unter den Füßen zur Jagd, machten dem Wolf den Garaus, der in dem frisch gefallenen Schnee einsank, während die Jäger herrlich darüber hinwegsausten.

Dann wieder kam der Frühling mit seinem Tauwetterwunder, dem großen Lichtbuhler, der Sonne, und den demütigen Bäumen, die ihre Küsse entgegennahmen und von Knospen zu schwellen begannen, Vogelgesang und warme Nächte. Dann wiederum die langen, süßen Sommertage mit den Ziegen im Walde, dem Ruf des verliebten Kuckucks in den Tälern und dem frechen Gelächter hinterher, als ob ein leichtsinniger Gott in den Wäldern seinen Spott triebe: kurze, helle Nächte, die nie erfaßten Reichtum in die Seele senkten und jedes Jahr neuen Reichtum hinzufügten. Dann kam der Herbst, und sie bargen mit Ehrerbietung das reife Korn der kleinen unregelmäßigen Acker und verjagten den Fuchs aus seinem letzten Winkel, die große Nüsse- und Beerenzeit kam, und die Zeit der wilden Apfel, die mit ihrer trügerischen roten Seite lockten, im Munde aber gallensauer waren; fast alles, was es gab, kosteten sie und trafen eine kluge Auswahl, wuchsen dabei – und auf einmal waren die Ältesten erwachsen, während die Nachkömmlinge noch klein waren.

Sie waren gesund und riesenstark. Die Schultern der Knaben waren so breit, daß sie seitswärts zur Tür hineingehen mußten, natürlich mußten sie sich auch bücken; Vaters und Mutters Stubentür aber war auch das einzige, vor dem sie ihre Nacken zu beugen beliebten.

Mäuschenstill saßen die langen Burschen mit ihren Holzlöffeln in der Hand um die Abendschüssel und warteten artig, bis Vater seine gewohnte Rede über das Wunder und den unübertrefflichen Segen des Kornes gehalten hatte; dann aber fielen sie auch über den Brei her, der Holzlöffel klang zwischen den frischen Zähnen, und das gemahlene Korn, in Wasser gekocht, glitt hinunter, während man mit Anstand seine Gier zu verbergen versuchte und sich bemühte, den Nebenmann nicht von seinem Platz zu verdrängen, sondern sich hübsch in der Mitte hielt, bis die Schüssel leer war.

Und auch die Mädchen wurden stark, schwangen den Mühlstein, unter dem das Korn zu Mehl gemahlen wurde, und sangen ein Mahllied dazu, während das süße Korn sommerlich duftete, bekamen Schwungkraft und wurden reich, indem sie Nahrung gaben und starke Freuden entgegennahmen.

 

Gasts und Skurs Kinder machten der Einsamkeit und Abgeschlossenheit im Walde ein Ende; so sehr ihre Eltern nach Einsamkeit verlangt hatten, so unwiderstehlich war die Naturmacht, die die Jungen zu Umwelt und anderen Menschen zog.

Die Söhne suchten Wege durch pfadlose Wälder, Tage und Tage waren sie unterwegs, bis sie zu bewohnten Orten kamen, wo sie als Urmenschen in neu erschaffener Herrlichkeit vor zahmen Frauen erschienen, die in ihren Augen zu bezaubernd und zart waren, um die Erde mit ihren Füßen zu betreten, sie trugen sie ganz einfach fort, nachdem sie die Jungfernbauern, wo sie verwahrt wurden und ihre Wächter aus dem Wege geräumt hatten; begeistert kamen sie mit ihren zerzausten Schönen nach Hause und durften sie da behalten, oder sie verließen ihr Heim mürrisch und rodeten einen Hof in der Nachbarschaft, wenn das Mädchen zu zerzaust war und keine Gnade vor den Augen der Eltern fand. Auf diese Weise entstanden mehrere neue Gehöfte als Ableger der alten.

Skurs Töchter waren vorzügliche Ziegenhüterinnen im Walde, sie selbst aber wurden von niemand gehütet; sie stießen auf Umherstreifer, die sie schon meilenweit gewittert hatten, göttergleiche Wesen, Burschen, die nicht viele Umstände machten; darum gab es Abkömmlinge auf dem Hof, von denen man nichts anderes sagen konnte, als daß sie da waren, und Großvater mußte Holzlöffel für neue Münder schnitzen. Einige der Umherstreifer aber wollten die Mädchen nicht lassen, nachdem sie sie erst einmal in ihren Armen gehalten hatten, sie wurden Schwiegersöhne, bekamen zu dem Mädchenwunder mit Sommersprossen auf der Nase, das sie im Walde gefesselt hatte, noch ein paar Ziegen als Mitgift und durften in der Nähe von Gast dem Alten einen Hof roden. Wo früher nur der wilde Wald gewesen war, entstand mit den Jahren ein Dorf.

Die Söhne, die sich mit offenen Augen umgeschaut und bis in die reichen, bewohnten Gegenden nach Osten und Süden Streifzüge gemacht hatten, planten Verbesserungen des Betriebes. Von klein auf waren sie mit Mutters Brot und Ziegenmilchkäse aufgewachsen, geräucherte Elentierschinken hingen im Rauch über den Betten, und Brei gab es jederzeit; das Essen war gut und reichlich; aber Abwechslung tat not, und warum sollte man nicht auch an den Genüssen anderer teilhaftig werden? Die Söhne machten weitläufige Handelsreisen, Zeit genug hatten sie, und kamen mit neuen Haustieren zurück, die ihnen unterwegs nicht wenig Mühe gemacht hatten; mehrere Wochen gebrauchten sie, um ein paar Hühner von bewohnten Gegenden in die Einöde zu frachten; das Federvieh war schwer am Leben zu erhalten, laufen konnte es den langen Weg auch nicht, und wenn man es tragen wollte, schrie es und hackte einem die Hände blutig.

Als die jungen Leute aber glücklich mit ihren Hühnern nach Hause gekommen waren und Eier von ihnen erwarteten, bekamen sie anstatt Eier Gekräh; die Küken hatten sich zu Hähnen mit Kamm und Sporen entwickelt, man hatte sie zum besten gehabt und ihnen Hähne statt Hennen verkauft! Man tröstete sich damit, daß man des Morgens wenigstens das Gekräh hatte, wie es auf anderen feinen Höfen Sitte war, holte sich auf einer anderen Reise Hennen und hütete sich, von dem Betrug etwas verlauten zu lassen. Warum seine eigene Schwäche bekennen? Man sah sich nur besser vor. Jetzt also zeigte der Hahn seine Federpracht auf dem Misthaufen, und wenn Mutter Skur gut gelaunt war, gab es Eierkuchen.

Einst kamen die Söhne von einer langen Fußwanderung nach Hause, müde und verstaubt, aber glücklich, und zogen ein paar Schafe hinter sich her. Diesmal hatten sie acht gegeben, daß man sie nicht in der entgegengesetzten Richtung betrogen hatte; das eine sollte ein Widder sein und war es auch. Jetzt würden die Frauen Wolle bekommen, darauf konnten sie sich verlassen. Und da standen nun die Schafe, fromm und an den Spannstrick gewöhnt, weitbereist, mit gelben Augen, worin ein schwarzer Wurm zu leben schien, stumm kauend, wenn man ihnen etwas zum Fressen bot. Der Wald hatte einen Ton mehr bekommen, das Blöken des Schafes im Winde und das Brummen des Widders, das wie ein bitteres Selbstgespräch klang, das von niemand gehört werden sollte, aber doch nicht ganz unterdrückt werden konnte. In den folgenden Jahren konnte man im Frühling das Blöken kleiner Lämmer ringsum auf den Höfen hören.

Nach und nach kamen alle zahmen Tiere. Gast selbst beschäftigte sich mit Bienen, fing die wilden Schwärme ein, flocht Körbe für sie und schirmte sie im Winter mit Binsenhüten; ihr sommerliches Summen fand tiefen Widerhall in seiner Seele. Bald wurden die Bienenstaaten ein wichtiger Bestandteil der Gehöfte, bekamen einen geschützten Platz hinter den Häusern, dort, wo später der Kohlgarten seinen Platz fand.

Eine große Begebenheit war es, als die erste Kuh endlich eintraf. Lange hatte man damit gezögert, große Vorbereitungen mußten erst getroffen werden. Zuerst mußte die Bezahlung zur Stelle geschafft werden, in Gestalt von Fellen, die Jagdbeute mehrerer Winter. Die Söhne waren ja nach und nach erfahrene Handelsleute geworden, die sich auf Preise verstanden; und wenn man sie auch hin und wieder übers Ohr haute, war es doch die Frage, wer zuletzt am besten davonkam. An den großen fortgeschrittenen Orten im Lande, wo sie einkauften, nahm man sich diesen zottigen, unschuldigen Bauernjungen gegenüber im geheimen allerhand heraus; so hatte man ihnen einst für eine Nähnadel, eine einzige Nadel aus Bronze mit einem Auge in der Mitte, einen ganzen Haufen Pelzwerk abgenommen; die Jungen aber liefen jubelnd mit der Nadel durch den Wald, ein Dauerlauf von mehreren Tagen, und hatten riesigen Erfolg bei den Frauen mit ihrem Fund. Sogar Vater Gast bekam glückliche Augen, als er sie sah; seine eigenen Schätze, die Art und das Messer, hatten sich nicht vermehrt, und diese kleine dünne Nadel war ja auch aus Bronze.

Schließlich aber hatte man genug Felle, um die Kuh zu kaufen; Lasten für viele Mann, mehrmals hin und her, es dauerte einen ganzen Sommer, bevor der Handel zustande kam, und es wurde Herbst, bevor man die Kuh zum Hofe brachte. Sie konnte nur langsam gehen und bekam wunde Hufe, so daß sie sich jeden Abend niederlegen mußte, am Tage mußte sie ziemlich lange grasen, Umwege mußte man machen, wo der Wald unwegbar war, es wurde eine lange Reise, und die Kuh bekam Stirnfalten vor Anstrengung; nach Hause aber kam man schließlich doch.

Mutter Skurs Freude aber, als sie die Kuh sah, wog alle Mühsal auf. Man merkte jetzt, daß Skur alt geworden war; denn als sie der Schwester Kuh zum erstenmal nach den vielen Jahren der Entbehrung wieder um die warmen Hörner faßte, zitterten ihr die Hände.

Eine Kuh aber konnte ja auf die Dauer nicht genügen, man mußte einen Stier haben, wollte man Kälber und Milch bekommen; die übermütigen Gast-Söhne ließen eine Bemerkung fallen, daß man ja die Schwiegersöhne hätte …, und es war gut, daß man sie hatte, denn es gehörten vereinigte Kräfte dazu, wollte man all das Pelzwerk und Korn zusammensparen, was dazu gehörte, um einen Stier zu kaufen. Nachdem sie ihn aber für einen unbarmherzigen Preis bekommen hatten – einen unerhörten Verdienst für den Verkäufer –, meinten sie dennoch, daß sie sich bei dem Handel gut standen und daß der Verkäufer den Kürzeren gezogen habe; denn mit den beiden Stück Vieh hatten sie ja die ganze Viehwelt auf einmal gekauft, Kälber und so viel Vieh auf den Höfen, wie sie bis in alle Zukunft züchten wollten.

Auf ähnliche Weise ging es mit den Pferden. Alle Höfe waren an dem Tage, als die Sendboten zurückerwartet wurden, wie im Fieber. Die beiden Burschen kamen stolz angeritten, die Beine hochgezogen, denn die Pferde waren klein und die Reiter lang; dennoch verfehlte der Aufzug seine Wirkung nicht. Die ganze Schar der Frauenzimmer kam heraus, mit Buchweizenbrei in den Händen, um die verwöhnten Tiere zu empfangen und wohlwollend zu stimmen. Erst aber das Zaumzeug herunter, schrien die Burschen den Unwissenden zu; es fehlte gerade, daß sie den Pferden in ihrer totalen Unwissenheit die Zähne verdarben!

Da standen sie nun, die beiden kleinen struppigen Mähren, auf ihren nach außen stehenden Beinen, wohlerzogen, mit dem kurzen, frommen Maul Brot fressend; endlich waren auch sie gekommen. Die Kinder rissen die Mäuler auf, einige von ihnen waren etwas enttäuscht, denn die Großen hatten so viel von der Schnelligkeit und den Kräften des Pferdes erzählt, daß sie sich eingebildet hatten, sie hätten Flügel und seien so groß wie Häuser. Die Wirklichkeit aber wog bald alle Träume auf.

Für die Erwachsenen aber gab es einen Rückschlag in der Freude, als es sich zeigte, daß man sie wieder betrogen hatte, diesmal nicht mit Bezug auf das Geschlecht, das war in Ordnung; das eine Pferd aber begnügte sich nicht mit Gras allein, sondern fraß Holz, so daß die Splitter nur so flogen, hätte sicher ein ganzes Holzhaus bis auf den Grund abgenagt, wenn man es hätte gewähren lassen; und die beiden Burschen, die den Handel abgeschlossen hatten, gingen düster und vergrämt herum. Daß das Pferd Häuser fraß, hatte man ihm ja nicht ansehen können! Aber der Betrug sollte gerächt werden! Wenn die Eigenschaft sich vererbte, sollte mancher Krippenbeißer von ihren Gehöften ausgehen und in den Handel kommen, darauf konnte man sich verlassen!

Jetzt hatte man in Gastweiler alles, was Bauern begehren. Schweine hatte man ja schon lange aus dem Walde geholt und gemästet, am Hoftor fletschte der Kettenhund seine Zähne, und am Teich rupften Gänse mit krummen Hälsen Gras. Mit den Pferden aber hatten die Gast-Söhne den Gipfel, die Freiheitsmarke des Bauern erreicht; sie waren jetzt berittene Herren geworden, fahrende Herren würden sie noch werden. Aus der Werkstatt eines der Söhne hörte man tagelang Hämmern, durch Pausen des Nachdenkens unterbrochen; er war dabei, einen Wagen zu bauen und schwebte auf der Zinne des schwierigen Problems, wie man ein Rad rund machen sollte.

Allerlei Handfertigkeit halten die Knaben von dem Alten gelernt, wie Gast sich jetzt nennen lassen mußte, einer war ein geschickter Holzarbeiter, ein anderer ein tüchtiger Schmied; Jäger und kräftige Bogenschützen aber waren alle. Von der Mutter hatten sie die tiefsten Geheimnisse des Ackerbaus und der Viehzucht erlernt.

 

Die Arbeit auf den Gehöften verteilte sich ganz von selbst. Merkwürdig war, daß Gast, der Alte, der von Natur ein Jäger und leidenschaftlicher Zimmermann gewesen, mit der Zeit diese Beschäftigungen anderen überließ und sich statt dessen der Fischerei zuwandte, ja, schließlich sie ganz allein besorgte; er liebte es, allein auf dem Bach zu treiben, in dem alten Eichenkahn, mit dem einst Skur und er am Morgen der Zeiten, von dem die Kinder und Kindeskinder nichts wußten, ins Land gekommen waren.

Und mit diesem Kahn verließ er das Land. Einsam, das Doppelruder ins Wasser tauchend, den Rücken dem Lande zugekehrt, das Gesicht aufs Weite gerichtet, so sahen seine Nächsten ihn eines Tages wie gewöhnlich auf den Fischfang ziehen. Aber er kehrte nicht zurück. Die Söhne suchten ihn, kamen aber traurig heim; sie hatten weder ihn noch den Kahn gefunden.

Der Bach hatte ihn genommen; er war von dem Strom abwärts aus dem Lande, ins Meer hinausgeführt worden. Jetzt waren sie elternlos.

Denn Skur war tot.

Einige Wochen vorher hatten die Jungen auf den Höfen ihre Mutter verloren.

Eines Tages war sie blaß geworden; und zum erstenmal in ihrem Leben hatte die alte Frau sich krank gefühlt und das Bett aufgesucht, noch aus eigener Kraft, indem sie sich an Tischkanten und Holzstühlen hielt; als sie aber im Bette lag, fühlte sie, daß sie hilfloser war als irgendeiner ihrer Säuglinge je gewesen. Der schwere Körper, der so vielen das Leben gegeben, hatte nicht mehr Leben genug für sich selbst. Sie blickte mit einem starren Lächeln durch die Stube, suchte ihren Hausherrn mit den Augen, er aber war nicht zu Hause; mit ohnmächtiger Hand tastete sie nach ihm, wandte ihr Gesicht zur Decke und wurde blässer; als man Gast herbeigeholt hatte, war sie schon tot. Obgleich sie ein Leben lang einig und unzertrennbar gewesen waren, hatte sie einsam sterben müssen.

Gast machte seiner Freundin ein letztes Bett aus einem Baum des Waldes, einem großen lebendigen, grünen Baum, der den Tod mit ihr teilen sollte; ihre Seelen sollten zusammen wandern. Er höhlte den Baum aus, wie ein Boot, in der schwermütigen Vorstellung, daß er auf dem Strom der Zeit treiben würde – an welches Ufer? –, und begrub sie auf einer Anhöhe mit allem, was ihr gehört hatte, damit es bei ihr bleiben konnte. Ihre beste Kuh und ein paar Ziegen wurden ihr mit ins Grab gegeben, und neben ihrem Kopf legte Gast einen kleinen Sack mit Saatkörnern; wie sie einst gekommen, so sollte sie wieder gehen. Wenn der Baum, in dessen Stamm sie beerdigt war, wieder grünte, sollte er sein immergrünes Laub auch über ihre Tiere und über einen Acker breiten.

Die jungen Mütter im Dorfe hatten ihre alte, ehrwürdige Mutter, die Mutter des ganzen Dorfes verloren. Für Gast aber war eine Jungfrau gestorben; er erinnerte sich ihrer nie anders als wie sie in ihrer heißen Jugend gewesen. Als sie fort war, konnte er nicht länger verweilen, sie war fortgereist, er reiste ihr nach.

Mit dem Strom, mühelos, ruderte er den Bach, den schnell eilenden, hinab, fort von dem kurzen Leben, zu dem er sich durch Arbeit heraufgekämpft hatte; durch Arbeit, dem einzigen Glück, das Bestand hat.


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