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Drittes Kapitel

Entsetzen fuhr in die erstarrten Glieder wie ein Keil.

Tumult heulte auf in der wehrlosen Olga, stachelte sie, zermarterte ihr Blut.

Ein ungeheurer Kolben, dem Kolben an der großen Maschine im Keller gleich, pumpte in mächtig saugenden Stößen heiße Süßigkeit, im Sonnenbrand geschmolzene Schokolade und siedenden Wein in ihren kleinen Mund, gewaltsam aufgesperrt, füllte sie bis zum Schreien, sofort aber erstickte er das Schreien mit neuen, eben erst herangewalzten Mengen, die unabsehbar auf der Mittagstraße aufgespeichert lagen. Ein Haus, ein Dom, ein Turm aus Speisen, ungeheuerlich in seinem Übermaß. Eins in Eins mit dem Herzschlag pochte der Kolben ohne Erbarmen.

Mit Mühe nur entzog sie sich dem Kolben, verkroch sich in den Schatten, sie klebte an der Häusermauer im Kühlen, glitt herab ...

Glitt herab in den großen Zuckermörser, den Kopf nach unten, hart auf den ausgeriffelten Boden, die Beine an den glatten Wanden emporgereckt, rings von dem widerlichen Gerüche des Kupfers beschmiert ...

Die erste Stimme: »Nun los, haben wir es, haben wir sie, alles in Ordnung?

Das soll der Mörser sein? Der reicht ja gar nicht für eine so große Bestie.

Es wird schon werden, gleich werden wir sie haben.

Also anfangen, drei Herren auf einmal! Was, das Seidenkleid? – Ausgekochter Fetzen!

Licht aus, ausgekochter Fetzen, und schon, und schon, und schon ...«

In dem Takt dieses »und schon«, immer mehr anschwellend, aufheulend zum Tumult, keulte brutal der Mörserstößel auf sie nieder.

Wütend dröhnte ringsum die metallene Wand, hitzebestrahlt. Unsagbares durchflammte sie.

Aber noch war es nicht zu Ende, da gingen sie schon fort, bloß zwei Herren waren da, noch war es nicht zu Ende, schon stand sie vor dem Erwachen, da schlich sich wieder einer zur Tür, versuchte Licht zu machen, aber es war noch viel zu früh, in einer Stunde erst begann die Musik zu spielen, lange war es noch Zeit, deutlich hörte sie die Bäume vor dem Fenster rauschen. Spatzen zirrten, sie hatten einen Schnabel aus Eisen, der scharf dahingleitend, an der Metallbadewanne entlang kratzte, sie saß jetzt in der Moorbadewanne, den schweren, heißen Moor auf der Brust, den aufgekochten Morast auf dem ganzen Körper, in der Höhlung der Knie, am Nacken, wo er schwer an den Haaren zog, unmöglich war es, loszukommen, und draußen fuhren doch schon die Wagen zur Musik, die Offiziere lachten, ließen große Hunde bellen, winkten ihr von ferne zu, warteten auf sie, indem sie die ungeduldigen Hunde an den Köpfen zurückhielten. Aber man ließ sie ja nicht los von da, der Hahn war verdorben, immer neuer Moorschlamm wurde hereingelassen, Mizzi hielt die Badefrau zurück, schmeichelte ihr, nannte sie gnädige Frau, die Klingel ging nicht. Hilflos war Olga verloren, war schon ganz schwarz, ausgelaugt, von der scharfen Moorerde durch und durch verätzt ...

Endlich brach sich Michalek Bahn, jagte Mizzi und die Badefrau fort, wollte zu Olga hin. »Oh, du mein Franz! Rette mich!«

Die zweite Stimme: »Wo bleibst du denn, süßes Kind?«

Mizzi erschien in der Uniform der Badewärterin, sollte die Zelle aufschließen, alles richtig verordnen, aber sie weigerte sich, ging in ganz andere Zimmer, schlüpfte in Kabinette, die Nummern trugen, wie im Hause 37. In der Zelle nebenan schien sie zu lachen, an die Wand zu pochen, mit Zigaretten zu rascheln. Olga raffte sich auf, in Wut warf sie die Moorklumpen von sich, lachte in Wut, lustig zwitscherte die elektrische Klingel.

Die Stimme: »Na, Olga, sitzt du auf den Ohren? Die Gäste warten!« Auf dem Korridor standen viele Herren, in Gruppen zu je drei. »Schon wieder voll Wut? Also gehst du? – oder nicht?« Eine andere Stimme, aber auch Michalek: »Mizzi, Mizzi, Mizzi!«

Schon stand Olga an der Tür, von ferne blinkerte das elektrische Klavier, der einzige Trost waren dünne Zigaretten, wie Zündhölzchen in einer Schachtel liegend, zum Entzücken knisternd. Mizzi ging vorbei, hob vom Boden, einem grünen Moosboden, eine Krone nach der andern auf.

Olga selbst, in doppelter Gestalt, stand oben am Aussichtsturm, mitten in der weißen Sommerhitze, warf Mizzi das ganze schöne Geld wieder herab.

Olga selbst, in doppelter Gestalt, in rotem Schlafrock, rot angestrahlt von der roten Laterne des Hauses 37, rauchte Zigaretten, hielt die »Gangtour« unten auf dem Korridor, schlürfte die Zigaretten, ließ sich wärmen, mitten im Winter, im lautlosen Schnee, gedunkelt von Nacht, endlos – – streicheln von innen her in der guten Dunkelheit, wo niemand sie sah.


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