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Zweites Kapitel

Ein Mann streifte an Olga vorbei. Hünengroß, Sandalen an den langen, glatten Füßen, eine weitschleppende schwarze Hose um die flachen Hüften, so schattete er mit schleichenden Schritten neben ihr, glitt voraus, zeigte ihr in der Dunkelheit etwas Glitzerndes, das er aus seinen tiefen Taschen gegraben hatte. Sie hatte Angst vor dem fremden bosnischen Mann, suchte das Licht eines Kaffeehauses, so müde war sie, so dörrte ihr die Kehle der Durst nach Kaffee, mehr aber als Kaffee und Ruhe lockte sie der schwarzhaarige, riesengroße Bosniak. Sie atmete wild, atmete den aufhauchenden Geruch des grünen Likörs, der noch an ihrer Brust brannte, Rose und Himbeere, Süßigkeit und Ersticken in einem.

Der Mann grinste sie an mit seinen mächtigen, gelben Zähnen, er war das Tier, das Hauer zwischen seinen Lefzen zückte, zwischen den Hauern aber bleckte er spitz die Zunge, der kleine, spitze, scharfe Bissen Rot machte sie zittern und taumeln, sie mußte stehenbleiben, aber sie mußte ihm nach, mußte zu ihm.

Schon hatte das Dunkel der Gebüsche ihn verschlungen.

Es war still, von den Blättern tropfte es metallisch.

»Bleib da, Olga, bleib bei dir, Olga, laß ihn doch, er würgt dich, er beißt dich zusammen, mitten durch den Hals, Olga!

Er hat kein Haus, auf einer Hundedecke schläft er, dort kannst du nicht schlafen, Olga!

Im Massenquartier lebt er, von toten Pferden das Fleisch ißt er, das macht ihn so wild. Laß ihn, laß ihn, Olga!«

Aber er stand wieder da, in der Finsternis, schlanker, sehniger als zuvor.

»Auf mich wartet er, der ist klug. Das Geld aber darf er nicht finden, das darf er nicht haben. Auf der Brust liegt es, mitten unter dem höllischen Schnaps, nur das soll er nicht finden.«

Aber nun hatte er sie, packte sie mit seiner Eisenhand im Rücken.

Schwebend glitt sie hin, schloß die Augen. Nacht um sie, geschlossen mit hohen Wänden bis an den Himmel und höher.

Langsam, wuchtig, schwer schlug ihr das Herz. In ihrem Mund, hinter eng zusammengekrampften Mädchenlippen, sammelte sich süße Flüssigkeit, streichelte ihr den Mund von innen her.

Langsam berauschte es sie, umfing sie stark und schwer von allen Seiten, sein hartes Kinn, gebogen und rauh wie das Horn eines Tieres, grub sich an ihr Schlüsselbein, seine Adern, harte Stränge, pochten an ihrem Halse, schnürten, enger gefesselt, ihr die Kehle, wie im höllischen Traum der Strick, der den Hähnen die Kehle verschnürt hatte, mitten im höllischen Traum.

Aber er war stark, er war gut, es war nicht zu entkommen, nirgendhin zu entrinnen. Alles dunkelrot, matt. Zuletzt schwebte noch in Gedanken eine weiße Hand, ihre eigene weiße Hand, die sie als Kissen unter den Kopf bettete, und alles wurde schwarz, wonnevoll still.

Jetzt aber zischte es, knisterte hell, blendend zuckten vor ihren Augen die weißen Zähne in seinem aufgerissenen Munde, dem küsselosen, seine lichten Knochenhände sah sie funkeln, mitten durch die Finsternis, fünf gezackte Blitze, und mit Schmerzen nur griff er an ihr herab, überall traf er sie, wie ein Stein, mit letzter Gewalt geschleudert, wie ein Blitz, brennend im Biß.

Aber ihr Mund war leer, leer ihr Schoß.

Wie er ihr mit seinen Händen flüchtig an dem Körper tastete, wie er mit langen, diebischen Fingern ihre Börse packte, da erwachte sie, sie krallte ihn ein, in einem Sprung warf sie sich über ihn, umfaßte ihn ganz, zwang ihn stillzuliegen, in der eisernen Zwinge ihrer starken Glieder, wie eine Falle schlossen sich ihre kleinen Hände um seinen dürren Hals, der von Adern, wie von Galgenstricken durchzogen, in ihrer Hand sich bäumte, ohne Befreiung!

Wort auf Wort schlug aus ihr heraus wie Feuer.

»Was sagst du jetzt? Wer hat dich jetzt? Sei ruhig, nicht gezuckt, nicht gerührt! O du mit deiner spitzen Hundezunge!

Warte, jetzt wirst du erwürgt! Ganz langsam wirst du erwürgt, das ist deine Todesstrafe, Franz!

Unter den alten Mist werde ich dich werfen, in die schwarze Pferdegrube wirst du hineingeworfen, zu noch fünf anderen Raubmördern, dort wirst du verfaulen, du Franz! Wirst du, mit deinen Pferdezähnen, den gelben?

Nein, du bist nicht der Franz, der ist nicht so eiseskalt, ein Richard bist du, wie ein toter Stein, so kannst du auch wie ein Stein liegen, im Pferdegestank, und die Millionen Fliegen über dir, die werden dich nicht auffressen.

Schrei nur, niemand hört dich. Spring nur, du springst mir nicht weg unter der Hand. Dort im Pferdebegräbnis, dort wirst du ruhig sein, die Fliegen werden dich zudecken, warmen, niemand sieht dich, nur ich!

Du willst mich aussaugen, du schäbiger Hund, aber jetzt sauge ich dich!«

Mit ihren kleinen harten starken Lippen saugte sie sich an seinem Halse blutig fest, zwischen ihre festen kleinen Zähne nahm sie sein Fleisch, rollte es unter der Zunge, unnennbar beseligt.

»Gut? Ist das gut?

Was, kein Wort?

Was, tot?

Noch nicht tot, noch lange nicht, warte.

Gut, ist das gut?«

Sie ließ spielend die Klammer ihrer Würgehände nach, der Mann öffnete die tiefen schwarzen Augen, in denen sich Sterne spiegelten, in winzigen Funken erglühend.

»Genug! Genug!

Schlaf! Augen zu!

So will ich dich lieben, ich muß, wenn du mich nicht lieben willst!«

Näher und näher schlossen sich ihre Hände, starr lag der Mann, leblos, eine gewaltige Masse, verstummt.

Sie ritt auf ihm. Zwischen ihre Beine nahm sie seinen Kopf, zwischen ihre weichen Knie spannte sie seinen langen Hals.

»Muß ich dich so lieben?

Nur das Geld hast du gewollt?

Nur das Geld hast du geliebt? Jetzt wirst du geliebt, wie ich will!«

»Gut so? Gut so?« Mit ihren entfesselten Locken wehte sie ihm um das nachtschwarze Gesicht. »Gut so, gut so?« sie deckte ihn zu mit ihren dichten Haaren. »Gut so, gut so?« mit ihren Knien glitt sie an seinem langen Hals in die Höhe.

Olga, zu einem steilen Bogen getürmt, niedrig die milchweißen Füße ohne Schuhe, unter denen die Brust des Ohnmächtigen schwer noch atmete, langsam sein Herz sich hob. Niedrig ihr Haupt, das in schwarzem Haarhelm funkelte. Hoch die Hüften, gebäumt in den Himmel der Nacht.

Ihre ganz durchblutete Wange legte sie an seine, ihr überblühendes Fleisch schmiegte sie an seine mageren Backen.

Zwischen ihren Knien, aus den Spitzen heraus knisterte es.

Gegen ihren Willen schlossen sie sich fester zusammen. Noch einmal warf er sich empor, ihr an die harte mädchenhafte Brust, wogte ihr weich unter den Gliedern, aber schon unsichtbar, schwarz in schwarz, den seidenen Gewändern gleich, die ihr gestern unter den Händen geknistert hatten.

Unsichtbar sich selbst, langsam erlosch sie, verschwand, verging im Schatten ihrer selbst.

Sie löste die Knie, nach rückwärts glitt sie, unter ihrem Kopf seine kalten langen Knochenfüße, über sich die Sterne der Nacht.

Eine Mücke berührte sie leise im Nacken. Plötzlich fühlte sie wieder sich, kam zu sich, hauchte schlürfend Nachtatem ein, die Glieder erlahmten, sie neigte den Kopf, seufzte, erwachte. Jetzt war die Stille gebrochen, das Klingeln der Straßenbahn, das Klirren der schweren Säbel, welche die Soldaten in die Kasernen schleppten, alles weckte sie auf. Sie war unter Menschen, viele Lichter glänzten, als wären sie eben erst entzündet.

Der Mann röchelte; daß er lebte, war gut; mit dem Saume des seidenen Rockes streifte sie mitleidig über ihn hin, unter ihren Füßen wehte seine offene Jacke im feuchten Abendwind. Er erhob sich. Halb gebrochen, immer noch gebückt, umfaßte er seinen Hals mit zögernden Händen, stumm.

Um seinen Leib, über dem gebauschten weißen Hemd glimmerte ihm ein dunkler Seidengürtel mit Messingnesteln.

Sie ging fort. Der Sand auf den Gartenwegen knisterte fein, auf dem Boden lag ein schmales Schnürchen, seidenschwarz, mit krummen Messingnesteln, ein Band, das dem Bosniaken gehört hatte. Sie nahm es mit sich. War es das, womit er, glitzernd in der Dunkelheit, sie gelockt hatte?

Sie behielt es, wickelte ihre Banknoten, den geretteten heiligen Schatz, in einen besonderen Knoten, ein geheimes Siegel, das schien ihr ein guter Schutz, da ein ähnliches Band nicht wieder zu finden war.


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