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Die beiden Islam

Es ist schrecklich, daß wir alle blind waren, so blind wie neugeborene Hunde. Vor einem Tag, vor einer Stunde, vor einem Augenblick haben wir noch nichts gesehen. Wie in den Tagen vor der Sintflut: wir aßen, tranken und freiten. Und selbst als wir es schon sahen, wollten wir nicht daran glauben.

»Das Ende der Welt naht!« riefen die Propheten bis zum letzten Tage, bis zur letzten Stunde, bis zum letzten Augenblick. Wir aber glaubten nicht, wir sahen nicht, wir hörten nicht. Wir schlossen die Augen, um nicht zu sehen, wir verstopften die Ohren, um nicht zu hören.

»Das Ende der Welt«? Nein, noch nicht das Ende, aber der Anfang vom Ende, oder, genauer gesagt, der Anfang aller Enden. Man muß blind sein, um nicht zu sehen, daß die endgültigen göttlichen Fügungen vor unseren Augen in Erfüllung gehen.

Der Krieg zwischen Rußland und der Türkei und vielleicht auch zwischen dem ganzen christlichen Abendland und dem ganzen islamitischen Morgenland ist ein solcher Anfang vom Ende. Dieser Krieg hat schon im vorchristlichen Altertum begonnen, im Kampfe des jüdischen, dann des griechisch-römischen Abendlandes gegen das assyrisch-babylonische und persisch-medische Morgenland; im Mittelalter wurde er durch die Kreuzfahrer fortgesetzt, und nun geht er heute vor unseren Augen zu Ende.

Wenn wir nicht so blind wären, so hätten wir die nicht nur welthistorische sondern auch metaphysische Notwendigkeit dessen vorausgesehen, was heute im deutsch-türkischen Bündnisse zutage getreten ist.

Vom historischen Christentum haben wir als Erbe ein unüberwindliches, beinahe abergläubisches Vorurteil gegen den Islam, als einen »falschen Glauben« mitbekommen. Es gibt keine falschen, es gibt nur mehr oder weniger wahre Religionen. Ein Kern der Wahrheit ist in jeder von ihnen enthalten. Jede Religion, die eine Religion, d. h. eine Bejahung göttlicher Werte ist, muß auch wahr sein. In diesem Sinne ist der Islam eine wahre Religion.

» Allah akbar – Gott ist groß – das ist die einzige Offenbarung des Islams. Gott ist groß und einzig. Es ist kein Gott außer Gott. Islam heißt Ergebung. Wir müssen uns Gott ergeben. Unsere ganze Stärke beruht auf völliger Ergebenheit in seinen Willen in allen Dingen, die er uns wie in dieser so auch in der anderen Welt schickt. Alles, was er uns schickt, und sei es der Tod und auch etwas Schlimmeres als der Tod, müssen wir als gut hinnehmen; wir ergeben uns in seinen Willen,« so gibt Carlyle das Wesen des Islams wieder. »Sie sehen, daß dieser Lehre nichts fehlt, und daß wir mit allen unseren Systemen nicht weiter sind, und daß überhaupt niemand weiter gelangen kann,« sagt Goethe zu Eckermann.

Das heutige politische und vielleicht mehr als politische Bündnis zwischen Deutschland und der Türkei ist die weltgeschichtliche Verwirklichung der Goetheschen Prophezeiung vom »West-Östlichen Divan«, dem Bündnisse des islamitischen nahen Orients mit dem protestantischen Mitteleuropa.

Der Islam ist die »Reformation« der Orientalen; die Reformation ist der »Islam« der Arier. Zwischen den beiden Islam, den beiden Reformationen besteht eine metaphysische Übereinstimmung: sie bedeuten beide einen Rückschritt, eine Reaktion. Der Islam ist die Rückkehr zum Judentume, als ob es gar kein Christentum gegeben hätte; der Protestantismus ist die Rückkehr zum Urchristentum, als ob es keine Kirche gegeben hätte. Die Sache ist verfahren, man muß alles von vorne anfangen, – so lautet der gemeinsame Gedanke Mohammeds und Luthers. Hier wie auch im Folgenden meine ich natürlich nicht den ganzen Protestantismus, sondern nur eine bestimmte Richtung in seiner Mitte, oder, genauer gesagt, die Gefahr, die ihm im höheren Maße droht, als irgendeiner anderen christlichen Religion. Der Protestantismus an sich ist eine erhabene, ewige religiöse Bewegung, in der, wie in jeder Religion, ein Kern absoluter Wahrheit enthalten ist.

Die Anziehungskraft der beiden Religionen besteht in ihrer großen Zugänglichkeit, Verständlichkeit und in der Anpassung an die Bedürfnisse des Durchschnittsmenschen. Die beiden Religionen sind auf den Normalmenschen zugeschnitten. In ihnen ist nichts Übermenschliches, nichts Maßloses. Alle metaphysischen Extreme sind abgeschliffen, alle Spitzen abgebrochen. Es sind die bequemsten, gemäßigtesten, natürlichsten, vernünftigsten, »rationalsten« Religionen, die Religionen des »gesunden Menschenverstands«.

Gott ist außerweltlich, »transzendent«, unerforschlich und in keiner Weise darstellbar. Darauf beruht die »Bilderstürmerei«, die Verneinung aller göttlichen Zeichen und Symbole (die eine »Immanenz«, eine Darstellbarkeit Gottes voraussetzen). Darum sind die protestantischen Kirchen und die mohammedanischen Moscheen so einfach, leer, rein, hell, kahl und kalt.

Der Monismus und der Determinismus sind die Hauptdogmen der beiden Religionen. Dem religiösen Monismus scheint das Dogma von der Dreieinigkeit, von der Fleischwerdung des Sohnes Gottes mit dem Monotheismus in Widerspruch zu stehen. Darum machen die beiden Islam aus Christus den »Menschen Jesus«; Mohammed stellte das gleich am Anfang als Dogma auf, der Protestantismus aber macht das ganz allmählich – von Luther zu Feuerbach und Harnack, von Harnack zu Nietzsche. Bei den Averrhoisten, den mittelalterlichen arabischen Auslegern des Aristoteles, ebenso wie bei den modernen deutschen Gelehrten wird der metaphysische Monotheismus zum »wissenschaftlichen Monismus«, zum Materialismus; die Einheit des göttlichen Willens zur Einheit der »Naturgesetze«. Dem religiösen »Fatalismus«, der seine protestantische Vollendung in der Lehre Calvins gefunden hat, entspricht der wissenschaftliche »Determinismus«; der »Rechtfertigung durch den Glauben« entspricht die »Rechtfertigung durch das Wissen«.

»Ich habe noch nie ein so langweiliges Buch gelesen ... Unerträglicher Unsinn! Allerdings soll ja vieles davon auf Hammelknochen aufgezeichnet gewesen sein, die man dann in einen Haufen zusammenwarf ...« – »Jedenfalls ist das Buch so unerträglich schlecht geschrieben, wie kaum ein anderes Buch in der Welt,« sagt Carlyle vom Koran.

Wenn aber der Buchstabe des Korans dunkel, tot und unverständlich ist, so ist sein Geist weise, feurig und lebendig. Puschkin hat das tiefste Wesen dieses Geistes in seinem Gedicht »Frei nach dem Koran« wunderbar wiedergegeben:

»Nicht umsonst zeigte mir euch mein Traum im Kampfe,
mit rasierten Köpfen, mit blutigen Schwertern, in Gräben,
auf Türmen und Festungsmauern. Vernehmt den freudigen
Ruf, ihr Kinder glühender Wüsten! Führt junge
Sklavinnen in Gefangenschaft, teilt die Kriegsbeute auf!
Ihr habt gesiegt, der Ruhm ist euer! Schmach über die
Kleinmütigen, die den wunderbaren Träumen nicht glaubten
und in den Kampf nicht zogen ...«

»Der Heilige Krieg« – das ist der Sinn des Korans. Alle Völker und Stämme, die ganze »zitternde Kreatur« soll sich zum Islam bekennen; und wer sich nicht zu ihm bekennt, soll durch Feuer und Schwert ausgerottet werden. Es ist ein Gott und ein Prophet, ein einziges Reich vom Himalaya bis Gibraltar. Das auf den Hammelknochen Niedergeschriebene soll auch auf den Blättern der Weltgeschichte stehen.

Der Heilige Krieg, der Krieg als Religion – so etwas gibt es in keiner Religion außer dem Islam; jedenfalls in diesem Maße nicht. Der Krieg wird im Christentume fast ebenso geheiligt wie im Islam; fast, doch nicht ganz so.

Lumen coeli, sancta Rosa!
Rief er wild, voll heil'ger Wut,
Unter seinen Streichen spritzte
Auf der Muselmänner Blut.

Nicht umsonst hat er aber »ein Gesicht, schier unfaßbar dem Verstand« gehabt:

Immer schweigsam, immer traurig
Wie ein Irrer starb er hin. Dieses, sowie das letzte Zitat auf Seite 146 sind aus dem Puschkin'schen Gedicht »Der arme Ritter«. (Vgl. auch Seite 55 und 124. Anm. d. Ü.

Noch wahnsinniger als er ist Franziskus von Assisi, der in Saladins Lager die Ungläubigen beschwor, die Waffen »um Christi willen« niederzulegen; noch wahnsinniger ist Tolstoi mit seinem »Krieg und Frieden«; noch wahnsinniger – jener russische Soldat, der den Österreicher zuerst mit dem Bajonett verwundete, dann auf dem Rücken aus der Schlacht trug und, als der Österreicher starb, vor Mitleid und Entsetzen wahnsinnig wurde.

Darf man den Feind lieben und zugleich töten? Ja, man darf es. Und wenn man es auch nicht darf, so soll man es. Man darf es nicht und soll es – darin liegt ein herzzerreißender, wenn auch heimlicher Widerspruch. »Man kann die Ahle nicht im Sack verstecken.« Russisches Sprichwort, entspricht dem Deutschen: »Es ist nichts so fein gesponnen ...« Anm. d. Ü.

Diese »Ahle« gibt es im Islam eben nicht: im Islam darf man alles, was man soll. Im Islam wird der Krieg um des Krieges willen geführt; im Christentum – um des Friedens willen. Der Islam lebt vom Kriege. Das Christentum will den Krieg aus sich »hinausleben«; und dies ist heute so offenbar wie noch nie.

Die Flüsse laufen nie zurück, die Religionen wiederholen sich nicht. Wenn im ersten Islam eine absolute Wahrheit – der Gehorsam dem einen Gotte – war, so ist im zweiten Islam eine absolute Lüge – der Gehorsam einem einzelnen Menschen.

Diese Lüge ist aber nicht irgendeinem bestimmten christlichen Volke, sondern der ganzen christlichen Menschheit eigen. Alle Völker haben Christus aus dem Christentum ausgemerzt und den zweiten Islam aufgestellt, den Gehorsam nicht dem einen Gotte, sondern dem einen Menschen, oder der einen Menschheit, den gottlosen Nationalismus und Militarismus, den sündhaftesten von allen Kriegen als den »Heiligen Krieg« verkündet.

Es ist eine innere und keine äußere Sünde. Und wenn wir sie nicht von innen, in uns selbst überwinden, werden wir niemand überwinden. Nach dem zweiten Islam kommt der dritte, der vierte, der zehnte, der letzte, unüberwindliche, endgültige.

Die Lüge kann nur durch die Wahrheit überwunden werden, der neue Islam nur durch ein neues Christentum.

Wird sich das Christentum erneuen? Wenn nicht, so wird es vom Islam besiegt werden; wenn ja, so wird es den Islam besiegen.


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