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Balladen


Diocletians Tochter

Dalmatinische Sage

Hinfährt Diocletians Tochter
In der Kutsche, rot von Golde,
Von der Rösser sechs gezogen.
Pfeilschnell nach der Bucht von Solin
Fährt sie durch das Bett des Jadar
Unterm hohen Brückenbogen.

Aufrecht steht die Schwanengleiche,
Hält die Zügel in den Händen,
Die wie weiße Tauben blenden.
Fährt dahin und allen stolzen,
Starken, kühnen, jungen Männern
Will vor Lust das Herz zerreißen.

Einmal nur in jedem Jahre,
Ach, seit vielmals hundert Jahren,
Ja, seit zweimal tausend Jahren
Darf die hochgeborne Holde
In der Kutsche rot von Golde
Durch den lieben Sonntag fahren.

Denn es hat der Teufelskaiser,
Hat der böse Diocletian
Seine fromme, weiße, schöne
Tochter unters Meer gezaubert,
Weil sie sich gebeugt der Taufe,
Angenommen Christi Lehre.

Einmal nur in jedem Jahre
Darf sie aus den Wassern steigen
Auf ins süße Licht der Sonne;
Darf sie durch die Felder fahren,
Durch die festgebauten Dörfer,
Durch der Menschen warmes Leben.

Könnt es einem von den jungen,
Kühnen Männern je gelingen,
Auf den Wagen sich zu schwingen
Und die Herrliche zu küssen,
Wären Rosse, Sättel, Wagen
Und des Kaisers Tochter sein.

Aber keiner kann es meistern.
Denn so schnell, wie Möven fliegen,
Vorwärts rasen die sechs Rosse,
Und die Augen voller Trauer
Muß die Arme, die Verfluchte
Wieder in die Wasser tauchen,
Härmend ihre zarte Seele
In dem feuchten, grünen Dunkel
Ohne Liebe, ohne Licht.


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