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Elegie von der Ferne

Siehe, es leuchtet und lockt, es glitzert und läutet die Ferne.
Räume und Zeiten, beglänzt von der Bläue des Hörengesagten,
Weiten sich herrlich und harren, daß eines Tages dein Nachen
Ihrer Küste sich nahe und lande im Bug ihrer Bucht.
Dir ist die Ferne bereitet. Der Kontinente Umrandung,
Flimmernder Städte Gewirr, das goldene Dunkel der Tempel,
Rastender Berg und rätselvoll rauschender Strom;
Pflanze, Gestein und Getier, gewußt und niemals gesehen,
Bunt und funkelnd erträumt, ersehnt seit den frühesten Tagen,
Siehe, sie warten auf dich. Das Schimmern der blumigen Kronen,
Kühler Kristalle Geleucht, das Äugen der fernegebornen
Glänzend gefiederten Vögel, dir sind sie bewahrt, seit die Erde
Tiere und Blumen gezeugt. Als Zierat für deine Seele,
Weil sie zu warten gewußt, hoben die Schönen sich auf.
Ja, sie erneuten sich dir, weil du mit dem Kommen gezögert.
Ernte und Aber-Ernte, Geburt und Aber-Geburt
Ward in der Ferne vollbracht, dein Auge heiß zu entzücken,
Wenn es endlich den Blick wenden würde dahin.
Du aber wirst nicht reisen, das wisse und sei es zufrieden.
Hebe kein Klagegeschrei, hadere du nicht mit Gott.
Einem ist es bestimmt, dem einen ward es verliehen,
Ferne, die golden und blaue, die ewig ersehnte zu sehn.
Dir aber ist sie verwehrt, denn wie sonst wär' es zu deuten,
Daß sie nie sich dir bot, die du seit immer geliebt?
Dein ist, Geduldiger, das Städtchen, das seit der Kindheit gewohnte,
Dein der benachbarte Wald, dunkel von fichtener Nacht.
Dein ist die lichte und breite, die trambahndurchklingelte Hauptstadt,
Die der Lokalzug in zwei Stunden gemächlich erreicht.
Dein das Bewährte und Alte, der oftmals erklommene Hügel,
Einsamer Pfad im Gefild und heimischen Vogels Geflöt.
Dein ist das Älterwerden im Warten auf endliches Wunder,
Langsam bleichendes Haar und mählich ermattender Fuß.

Ihrer aber sind viele, die fahren im Stromlinienwagen
Ganz nach Belieben dahin, ganz ihre eigenen Herrn.
Ja, sie durchfahren die Ebne hinab von den Alpen zum Meere;
Wenn es sie lüstet, entsteigen in uralt italischen Städten
Selbstverständlich und froh sie dem lackierten Coupé.
Was du mit Inbrunst erträumt, der Mosaiken goldne Legende
Einmal mit Augen zu sehn, oftmals ist's ihnen gegönnt.
Schiffe sind voll von solchen, die in den Luxuskabinen
Lässig umreisen die Welt, ohne sie wahrhaft zu sehn.
Hinter den spiegelnden Scheiben der federnden Speisewagen
Sitzen, die schauen gedurft, was dir auf immer versagt.
Ernte und Aber-Ernte, gereift unter spendenden Himmeln,
Niemals füllen sie dir golden das wartende Haus,
Niemals fährt dich ein Schiff nach den blauen Golfen der Griechen,
Nie in den nordischen Fjord, nie durch ein sonniges Meer;
Waldgebirge nur kennst du, die Gletscher wirst nie du erwandern,
Nie altes Göttergebirg hämmernden Herzens erspähn.

Aber, Verkürzter und Armer, in Kleinstadtstuben Vergeßner,
Aber, bescheidener Gast du bei dem irdischen Fest,
Dennoch bist du es, sofern du in Demut das Nahe umfangen,
Du es, sofern du die Weite zu wünschen niemals erlahmtest,
Der du gesegneter gehst denn die Bezwinger der Welt!
Wenn du die Heimat erkannt, wenn du das oftmals Gewahrte
Selig im Wechsel des Lichts, in der verwandelten Zeit,
Blendend im gleißenden Schnee, grünend im gütigen Frühling,
Immer wieder besessen und immer wieder geliebt:
Dann ist die Erde die deine. Im Auge des Schmetterlingsflügels
Beut sich als vielfacher Ring alles Erfahrbare dir,
Und vom gelindesten Hang des namenlosesten Hügels
Zeigt sich dir dennoch des Alls Abenteuer und Traum.
Dein sind der Golf und der Isthmus, die heiligen Bezirke des Tempels,
Dein der Kristall und das Tier und fremd herfunkelnder Stern.
Dein ist das blauende Licht und dein die entrückten Konturen
Tropischen Inselgewirrs, dein ist die Krypta des Doms.
Dein das Gewoge des Meers, das die Weitgereisten beschrieben,
Dein ist des ragenden Bergs sagenhaft ewiges Eis.
Dein ist das strömende Glück der Seele, die sich bewährte,
Dein sind der Klang und der Rausch, dein ist der große Gesang.
Nicht, daß du ratterst und fährst und Herr bist von Schiffen und Wagen:
Nein, daß du liebst und dich sehnst, macht dich zum Meister der Welt.


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