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Fünftes Kapitel

Zu seinem Erstaunen machte Donat die Erfahrung, daß, wie sein Kamerad Henry Krebs ihm angekündigt, sein Mißgeschick bei der Tafel an jenem Abend ihm statt eine Strafe eine Art Beförderung eintrug. Den eigentlichen Verlauf der Dinge erfuhr er nicht, nicht, daß der entrüstete Ober zum Besitzer des Hotels, Herrn Louis Meister, geeilt war und Donats Entlassung anbegehrt, der kleine, aber energische Prinzipal ihm jedoch nicht willfahrt hatte. Von Herrn Louis Meister ging als Beweis seiner äußeren Tadellosigkeit die Mär, er gehe in der feierlichen weißen Weste und dem steifen Zylinder sogar zu Bett. Im Zornsturm seines Oberkellners stand er als ein böses und widerhaariges Bäumchen. Er bedeutete jenem, man teile heutzutage keine Ohrfeigen mehr aus, der Lehrling Zurbriggen sei zudem der Sohn eines Mannes, der in die Geschichte des Fremdenverkehrs durch eine im Hochgebirg vollbrachte Heldentat ein für allemal eingezeichnet sei, demgegenüber man also ein Auge zudrücken müsse. Überdies sei auch noch nie ein fix und fertiger Kellner vom Himmel gefallen. Vielleicht hatte aber zu dieser Einstellung des Prinzipals auch die Unterredung beigetragen, die Baronin Dülberg mit ihm gehabt und in der sie den Wunsch ausgesprochen hatte, der Lehrling Donat möge an ihren und ihrer Familie Tisch kommandiert werden. Tatsache war, daß am Tage nach dem fatalen Plattensturz der Ober mit sauersüßer Miene Donat an den Dülbergschen Tisch führte und mit einer erstaunlichen Milde und Geduld ihn anleitete, wie er aufzudecken und was er zur Befriedigung der vornehmen Gäste zu tun habe.

Donat wurde heiß und kalt. Er besaß Mut und Unerschrockenheit. Er war immer noch gewillt, sich seine Zukunft selbst zu zimmern. Aber nun er zum erstenmal mit so vornehmen Leuten in Berührung kommen sollte, sank seine Zuversicht. Seine Kleider paßten ihm auf einmal nicht mehr recht. Seine Füße gehorchten nicht wie sonst. Kurz, er war ein Mann großen Unbehagens. Mit klopfendem Herzen stellte er sich an seinen neuen Dienstplatz, als die Glocke zur ersten Mahlzeit läutete. Die andern Tische füllten sich. Donat sah aus dem Fenster und meinte, in seinem Rücken die Blicke der Gäste zu spüren. Mußten sich nicht alle die Menschen seines gestrigen Ungeschicks erinnern? Gleichzeitig aber bangte ihm vor der Wiederbegegnung mit seinen Gönnern, den Dülbergs, und befiel ihn doch, da die Familie noch immer nicht kam, eine leise Besorgnis, sie möchten ganz wegbleiben.

Schon waren an den übrigen Tischen alle Löffel in Bewegung, als der Baron mit seiner Familie eintrat. Wieder fiel Donat die vornehme Gelassenheit des stattlichen Ehepaars auf. Blind und taub vor Befangenheit schob er ihnen die Stühle zurecht, fühlte aber doch einen leisen Stich im Herzen, als ihm schien, die Leute schenkten ihm heute kaum mehr Beachtung als ihren von ihm dargebotenen Sitzgelegenheiten. Seine Hand zitterte, als er die Suppenteller auf den Tisch stellte.

Da lächelte die Baronin und sagte mit gütiger Stimme: »Ei, da haben wir ja den neuen Famulus.«

Dann sah Donat auch die Blicke der beiden Töchter auf sich gerichtet. Die jüngere war sehr zart und ein wenig verwachsen. Aber nach Art aufgeweckter und vorlauter Kinder flüsterte sie ihrer Mutter zu: »Er hat Angst.«

Donat wußte nicht aus noch ein. Unwillkürlich schielte er nach Ursula, der ältern Tochter. Niemand würde ihr erst fünfzehn Jahre gegeben haben. Sie saß da wie eine Dame von Welt. Um Donat schien sie sich nicht zu kümmern. Nur einmal begegnete er wieder ihren braunen Augen.

Die Mahlzeit verlief indessen ohne besondere Ereignisse. Der Baron besprach mit seiner Frau politische Fragen seines Landes. Die Töchter hörten zu. Ganz selten äußerte auch Ursula eine Meinung. Erst als der Kaffee aufgetragen war und Donat in angemessener Entfernung weiterer Befehle gewärtig blieb, wandte sich die Baronin mit der Frage an ihn, ob es richtig sei, daß er aus den Bergen stamme?

Er bejahte.

Die übrigen Gäste hatten größtenteils den Saal schon verlassen. Die Kellner warfen erstaunte Blicke nach Donats Tisch. Im Anrichteraum spotteten sie über das Wesen, das man mit dem Neuling mache.

Die Baronin erzählte: »Mein Bruder, der ein großer Bergsportler ist, kannte Ihren Vater; er hat ihn bei verschiedenen Hochtouren geführt.« Bei aller Überlegenheit lag wieder die wohltuende Güte in ihrem Wesen.

Donat stand hilflos vor ihr; er fühlte sich angezogen, geehrt und beglückt und wünschte doch zugleich, er würde entlassen.

»Dieses Leben in der Stadt und im Gasthof muß Ihnen wohl sehr fremd vorkommen?« fragte Frau von Dülberg.

Da erwachte Donat etwas und antwortete: »Ich war eine Zeitlang in einer Talschule. Ich sehe auch nicht auf das, was um mich herum ist. Ich will nur vorwärts.« Er wußte plötzlich wieder, warum er eigentlich da war, und es drängte ihn, das ganze Verlangen nach Emporkommen, das in ihm war, zu verraten.

»Wie kommen Sie zu diesem Beruf?« erkundigte sich nun, aufmerksam geworden, auch der Baron.

»Ganz durch Zufall«, gestand Donat. »Ich ließ mich einfach treiben.« Und über sich selbst nachdenkend, fügte er hinzu: »Meine verstorbene Mutter war auch in einem Gasthof.«

Die Dülbergs setzten das Gespräch nicht weiter fort. Irgendeine Bemerkung des Barons führte sie auf ein anderes Thema.

Donat kam sich plötzlich ausgestoßen vor. Er fühlte, wie wenig wichtig er war. Das saß ihm wie ein heißes Eisen im Körper. Er mußte sich zwingen, den Fremden, die sich jetzt erhoben, wie die Pflicht es gebot, die Stühle wieder wegzurücken.

Der Baron beachtete ihn auch jetzt nicht mehr. Die Baronin nickte ihm in ihrer gelassenen Art zu. Gisi, das Kind, starrte ihn einen Augenblick an wie eine Rarität. Ursula hatte ihre Handtasche auf dem Tisch liegen lassen. Sie erinnerte sich ihrer im gleichen Augenblick, als Donat sie ihr nachtragen wollte. Dann empfing sie sie aus seiner Hand, und ihr Blick kreuzte sich mit dem seinen. Welch ein schönes kluges Gesicht er hatte, dachte sie und sah mehr den jungen Menschen der Berge in ihm als den Kellner. Ein wenig verwirrt dankte sie ihm und glitt dann mit leisen, anmutigen Schritten den andern nach.

Donat stand noch einen Augenblick ganz verzaubert da. Er sah in Gedanken noch einmal das Lächeln, mit dem sie sich verabschiedet hatte, und es war ihm, als habe sich ihr Blick ganz langsam und zögernd aus dem seinen gelöst. Er hatte Mühe, sich auf seine Arbeit zu besinnen. Wie im Traum begann er den Tisch abzuräumen, und als er nachher in den Anrichteraum hinauskam und die Arbeitsgenossen ihn hänselten, erwachte er kaum zu ihren Neckereien, sondern erledigte seine Pflichten in einer Art verstockten und versunkenen Schweigens.

»Ich müßte mich täuschen, wenn der junge Mann nicht seinen Weg macht«, sagte aber Baron Dülberg von Donat, als er an diesem Abend mit den Seinen noch einmal auf ihn zu sprechen kam.

Seine Frau überlegte. »Ein merkwürdiger Mensch«, entgegnete sie. »Vielleicht liegt es am knappen Mund, vielleicht an der eigenwilligen Stirn, man hat den Eindruck eines starken, fast störrischen Willens.«

Sie verließen aber das Thema sogleich wieder. Einzig Ursula, als sie bald darauf ihr eigenes Zimmer aufsuchte, hatte noch kurze Zeit das Gesicht vor Augen, das ihre Mutter als ein besonderes bezeichnet hatte. –

Vierzehn Tage lang blieben die Dülbergs im Hotel. Der Kellner Donat Zurbriggen zerschlug in dieser Zeit mit ungeschickten Händen viel Glas und Porzellan, aber er wurde zusehends anstelliger. Der Ober schnauzte ihn selten mehr an. Abends war er hundemüde und tauschte doch ungern die Räume der vornehmen Gäste an seine öde Dachkammer, die er mit den beiden Schlaf- und Werkgesellen zu teilen hatte. Eigentlich aber zählte ihm in diesen vierzehn Tagen nur die jeweilige Mahlzeitstunde, in der er am Tisch der Familie Dülberg beschäftigt war. Die anfängliche Befriedigung, mit hochgestellten Leuten in Berührung zu kommen, war längst einem, einem Wachtraum ähnlichen Zustand gewichen, in dem er seinen Bedienungspflichten mechanisch nachkam, aber im Grunde immer nur Ursula sah, hinhörte, wenn sie sprach, und, ohne je zur Tat zu kommen, heimlich wünschte, durch irgendeinen Dienst ihre Aufmerksamkeit wecken oder ihren Dank verdienen zu können. Ihr Bild begleitete ihn den ganzen Tag, und er war in die Gedanken an sie oft so versponnen, daß er als ein gänzlich Zerfahrener bei den Schlafgenossen anzukommen pflegte. Sie ärgerten sich über ihn, schalten ihn einen unfreundlichen Patron und steckten, heimliche Bemerkungen über ihn tauschend, die Köpfe zusammen. Er raffte sich auf und wechselte mühsam ein paar Worte mit ihnen. Aber gleich nachher lag er im Bett und studierte seltsamen Nichtigkeiten nach, etwa ob Ursula Dülberg ihn heute wirklich angelächelt oder ob die Tatsache, daß sie ihm beim Hinausgehen zugenickt, irgend etwas zu bedeuten habe. Dabei vergaß er nicht, wie tief unter ihr er stand. Aber die Erkenntnis fachte das Feuer seines Ehrgeizes nur stärker an. Er spann Plan um Plan, wie aus dem Kellner ein Mann von irgendwelcher Bedeutung werden könnte. Allmählich steigerte sich sein Zustand zu einer Art Fieber. Er war richtig verliebt in die kleine Deutsche. Wenn er sie bediente, zitterte seine Hand, und wenn ihre Finger zufällig einmal die seinen streiften, schlug ihm eine Blutflamme ins Gesicht. Er mochte nun erst recht nicht mehr in seine Kammer hinauf. Sie schien ihm eng. Eine törichte Hoffnung, von Ursula noch irgend etwas zu erblicken oder zu hören, ließ ihn noch spät in die Straße hinaus oder auf die breite Terrasse treten, die sich vor den Speisesälen befand. Dieser Zustand verschlimmerte sich, als er aus einem Gespräch der Dülbergs entnehmen mußte, daß ihr Aufenthalt sich seinem Ende nahte. Ihm graute vor der Leere, die sie zurücklassen würden, und er glaubte, nicht allein zurückbleiben zu können, erwog auch die törichtesten Möglichkeiten, ihnen irgendwie zu folgen.

Eines Nachts betrat er wieder, ein armer, kleiner Narr seiner Gefühle, die breite mondbeschienene Altane. Das große Haus lag still und scheinbar gästeleer da. Es war Sonntag. Am Abend vorher waren viele Leute abgereist. Nur wenige Fenster waren erleuchtet. Die Eltern Dülberg waren ins Theater gegangen. Auch die Fenster ihrer Zimmerflucht waren dunkel.

Donat hielt sich im Schatten des Hauses; das Verweilen auf der Terrasse war den Kellnern nicht gestattet. Ursula und ihre Schwester schliefen wohl schon, dachte er und lauschte dann ins Hausinnere. In den Sälen und ihren Nebenräumen regte sich keine Seele mehr. Er atmete auf und fühlte sich sicher. Jetzt erst auch wurde er der Schönheit der Nacht gewahr. Sie mahnte ihn an die Berge, an die Einsamkeit. Die Umrisse der Stadt verschwammen in ein mystisch-rotes Halbdunkel. Ungeheuer hoch aber wölbte sich über ihnen der Himmel, eine Kuppel aus sammethaftem, geheimnisvollem Schwarz, aus der nur, hilflos und gleichsam ertrinkend die einen, andere mächtig, sieghaft mit blauschimmerndem Schein, die Sterne hervorbrachen. Irgendwo in der Tiefe entdeckte er den See, ein ebenfalls schwarzes, aber jettglänzendes Etwas, durch das in der Mitte ein breiter, zitternder, silberner Mondlichtstreif lief. Im Osten befand sich ein wiederum anders gestaltetes Irgendwas, eine Mauer vielleicht, riesenhaft, mit grotesken Rändern, über die hinaus gleich einer Viktoria Regia, die auf nächtigem Teiche blüht, der Mond schwamm. Neben dieser majestätisch schwimmenden Himmelsampel, neben dem Schweigen der Nacht erschien das Geräusch der Stadt wie ein fernes, versinkendes Brausen. Donat vergaß einen Augenblick alles andere, selbst das Zehrende und Gärende seines eigenen Innern, das ihn hier herausgetrieben. Aber noch während eine Art Andacht ihn gebannt hielt, erblickte er plötzlich ganz am andern Ende der Terrasse eine vorn am Steingeländer lehnende Gestalt, Ursula Dülberg. Eine Treppe führte dort von der Straße herauf. Über diese mochte sie wohl heraufgekommen sein. Sie trug noch das hellblauseidene Abendkleid, das sie bei Tisch angehabt, und hatte zum Schutz gegen die Nachtkühle ein weißes Tuch umgenommen. Den nackten weißen Arm auf das Geländer gestützt, schaute sie auf den See hinaus.

Donat war im ersten Augenblick unsicher. Er fühlte das Verbotene seiner Anwesenheit auf der Terrasse noch mehr als vorher. Sollte er sich fortschleichen? Aber je länger er blieb, umso mehr verfiel er einem Gefühl heimlichen Beglücktseins. Dort drüben stand die kleine Ursula. Niemand sonst war zu sehen. Sie und er waren ganz allein! Und sie war so nahe, daß der leiseste Anruf sie erreichen mußte. Sein Herz klopfte so laut, daß er es hörte. Und plötzlich war ihm, Ursula habe sich nach ihm umgesehen. Er wagte gar nicht mehr hinzuschauen. Aber als er bald darauf den Blick doch wieder hob, sah er wie jene, scheinbar zufällig und sich um ihn nicht kümmernd, dem Geländer entlang und der Stelle zuschlenderte, wo er selber stand.

»Sehen Sie sich auch die schöne Nacht an, Donat?« fragte sie dann ganz mit dem Wesen der jungen Dame, die zum Untergebenen spricht.

Er machte eine linkische Verbeugung und blieb in angemessener Entfernung stehen.

»Ich habe meine Eltern begleitet«, erzählte sie. »Dann stieg ich auf die Terrasse, weil von hier eine zauberhafte Aussicht ist.«

Seine ganze Maulfertigkeit war ihm abhanden gekommen. Er stand stumm und verlegen da.

Ursula war ihm zehnmal überlegen. Sie sah in ihm den Menschen, der aus dem Gebirg gekommen, schweigsam von Natur, wenig geschickt zum Kellnerberuf. Sie legte sich unwillkürlich zurecht, eine Art Heimweh habe ihn in die Nacht hinausgetrieben. Mit wohlgefälligem Mitleid betrachtete sie ihn und übersah dabei nicht, daß in seinem Äußern nichts Bäurisches war. Sein Haar schien dunkler noch als sonst, schmaler sein Gesicht, blaß, hoch seine Stirn. Er hätte wohl ein Student sein können, wie sie daheim täglich mützenschwingend an ihrem Hause vorbeigingen.

»Sie fühlen sich wohl hier nicht recht zu Hause?« fragte sie ihn jetzt.

Donat wich aus: »Es kommt ja nicht darauf an, wo man ist.«

»Sie lieben die Berge wohl sehr?« examinierte Ursula weiter.

Zu ihrem Erstaunen antwortete er: »Ich habe nie darüber nachgedacht.«

Sie wußte jetzt nicht recht, was sie aus ihm machen sollte.

Er aber hatte plötzlich Mut und Lust zu reden. »Ich denke mehr an die Zukunft als an die Gegenwart«, erklärte er.

»Wieso?« fragte sie und dachte dabei, wie er sich die Zukunft wohl vorstellen werde. Würde er ein Oberkellner und dann vielleicht ein Wirt werden wollen?

Da verblüffte er sie aufs neue. »Ich will irgendwie hinauf, über das hinaus, was ich bin«, sagte er. »Das Wie und das Wiehoch kann man nicht voraussagen.«

Er schien ihr plötzlich ein ganz anderer. Seine Augen glänzten von etwas wie Zorn. Sie hatte das Gefühl eines ungewöhnlichen Willens. Und sie sah in ihm auf einmal nur noch den Menschen, vergaß ganz, daß der Kellner Donat vor ihr stand. Es war ihr, als müsse sie noch mehr von ihm sehen und erfahren, und sie bedauerte auf einmal, daß morgen ihr Aufenthalt im Hotel zu Ende ging und in dem, was nachher kam, Donat nicht war. Das Künftige erschien ihr ein wenig leer.

Das Gespräch geriet indessen abermals ins Stocken. Ursula belebte es mit der sich ihr unwillkürlich auf die Zunge drängenden Bemerkung: »Wir reisen morgen ab.«

Da fiel die ganze Last des Schreckens über die Nähe dieser Abreise Donat wieder auf die Seele. Ursula konnte das Bedauern, das ihn quälte, ihm aus dem Gesicht lesen. Kleine dumme Erwägungen kamen ihr: Vielleicht war er auf sein erstes Kellneramt am Tisch ihrer Eltern stolz gewesen und war nun betroffen, daß er wieder in die Reihe seiner Kollegen zurücktreten mußte. Hoffentlich machte ihm aber der Vater noch ein gutes Geldgeschenk! Bei diesem Gedanken ärgerte sie sich über sich selbst. Sah er, Donat, aus, wie wenn er auf Trinkgeld Wert legte? War dem nicht die Ehre mehr? Und vielleicht – wie sonderbar er sie anschaute!

Die Blicke beider trafen sich, wichen sich aus und suchten sich aufs neue.

»Wohin werden Sie reisen?« fragte Donat aufs Geratewohl.

»Nach Hause, nach Norddeutschland«, antwortete Ursula.

»Weit«, murmelte Donat mühsam. Es wurde immer schwerer, die Unterhaltung weiterzuschleppen, während die Hand gern der andern sich entgegengestreckt und er gefragt hätte: Warum bleiben Sie nicht länger da?

Das Gefühl, ihm die Hand geben zu wollen, hatte auch Ursula. Als die Gewandtere von beiden, sagte sie: »Ich sehe Sie wohl morgen nicht mehr. Wir frühstücken auf dem Zimmer, meine Schwester und ich.« Damit erhob sie den Arm.

Donat erlebte in der einen Sekunde Tausende von Dingen. Die Hand und der weiße weiche Arm Ursulas traten aus dem weiten Ärmel des Seidenkleides. Im Mondlicht schimmerten die beiden. Wie bergbraun Anschis Handgelenk dagegen war, dachte Donat. Wie seltsam es sein mußte, über dieses kleine Wunder einer Hand zu streichen! Und warum war er, wer er war, und hatte kein Recht zu tun, was einer aus Ursulas Kreisen durfte? Er faßte die ihm gebotene Hand mit zwei zagen Fingern. So linkisch tat er das, daß auch Ursula nicht wagte, den Gruß zu verlängern.

Die Hände fielen auseinander, obgleich sie gern ineinander geblieben wären.

»Leben Sie wohl«, sagte Ursula und wendete sich ab. Es reute sie, als sie schon im Begriff stand, hinwegzugehen. Jeder Schritt reute sie, aber sie hemmte keinen. Langsam verschwand sie im Hause.

Donat stand ganz verloren da. Würde er nie mehr sein als ein Kellner? fragte er sich zum dutzendsten Male und schämte sich und quälte sich mehr als je. Von Widerwillen geschüttelt, stieg er in den fünften Stock hinauf in die Kammer zu den zwei andern armen Schwarzschwalbenschwänzen.


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