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Neuntes Kapitel

Charles Beaudrier wurde eilig und ohne weitere Umstände begraben. Die Reisezeit stand auf der Höhe. Die vornehmen Kunden des Hotels durften nicht erfahren, daß über ihren Köpfen in der Dachkammer ein Toter lag. Die Menschen lieben es nicht, irgendwie an ihre eigene Vergänglichkeit erinnert zu werden, lieben das schon gar nicht, wenn sie im Zuge sind, ihrem Behagen zu leben.

Herr Louis Meister geriet in große Erregung, als der auf eine Nachtstunde bestellte Leichenwagen vorfuhr und sein alter Kellner über die den Gästeräumen entlegene Dienstbotentreppe hinuntergetragen wurde. Er besetzte selbst die einzige Tür, durch die zufällig irgend jemand einen Blick auf den Sarg hätte gewinnen können, und leitete ebenso in höchst eigener Person die Verladung desselben im Hinterhofe, wo die Teppiche geklopft wurden, aber nie ein fremder Gast hinkam. Er hatte aber schon die schwarze, statt der stereotypen weißen Weste an, in der er dem Begräbnis beiwohnen wollte. Mit einem Aufatmen stieg er endlich in den Einspänner, der dem Sarge folgen sollte, als dieser auf dem Leichenfuhrwerk untergebracht war. Sein egoistisches Gastwirtsherz beruhigte sich; ein Menschliches gewann wieder Macht. Er fühlte, wer da vor ihm zur Grube gefahren wurde, und wenn er ihm auch wenig mehr als ein altes Inventarstück bedeutet hatte, so regte sich doch sein Bedauern wieder, und eine gewisse Rührung befiel ihn. Auf seine Einladung, mitzufahren, hin hatte sich Donat neben ihn gesetzt, und Meister begann ihm gegenüber noch einmal die wundersame Kundenkenntnis und die jahrzehntelange Erfahrung des Beaudrier zu rühmen. Donat selbst hatte er mit den Worten einzusteigen geheißen: »Sie stellen ein wenig die Familie des alten Charles vor, Zurbriggen. Er hat, mehr als Sie vielleicht wissen, an Ihnen gehangen, und es sollte mich nicht wundern, wenn er, der sonst keine Sterbensseele auf der Welt hatte. Ihnen etwas hinterlassen hätte.«

Donat, bedrängt und bedrückt, schwieg diesen Worten gegenüber. Er ahnte, daß er bald manchen Fragen werde standhalten müssen, und war sich noch in keiner Weise klar, wie er sich zu solchen stellen solle.

Meister achtete nicht auf seine Schweigsamkeit oder schrieb sie der Befangenheit zu, die nach seiner Ansicht den Untergebenen, der in Gesellschaft des Vorgesetzten fahren mußte, wohl befallen konnte.

Nach einer geraumen Zeit kamen sie zum Friedhof, der mit seinen schwarzen Baumpyramiden und seinen bleichen Marmordenkmälern in einer geheimnisvollen Unwirklichkeit dalag. Etwas Heimliches, Scheues, Verbotenes lag auch in dem, was nun folgte. Als der Wagen hielt, öffnete der Friedhofwart das Tor eben nur so weit, daß die Männer den Sarg hindurchzutragen vermochten. Er selbst katzbuckelte vor dem reichen Hotelbesitzer, dessen Sonderschmiergeld das Begräbnis bei Nacht und Dunkel ermöglicht hatte, aber in seinem verdrossenen Gesicht kam der Ärger über die Störung seines Feierabends deutlich genug zum Ausdruck. Zwei für den Zweck gemietete Taglöhner trugen den Sarg. Mit einer Laterne schritt ihnen der Gärtner voran. In ihrem Schein gewahrte Donat die nachlässige Werktäglichkeit ihrer Kleidung und die stumpfe Gleichgültigkeit ihrer Gesichter. Wenn sie gekommen wären, ein Tier zu verscharren, hätten sie nicht zerstreuter und gelangweilter dareinschauen können. Der Kies knirschte unter den vielen Schuhen. Kein noch so geringer Wind bewegte die Bäume und Büsche. Sie standen als reglose Schatten am Wege. Der Mond fehlte. Nur Sterne waren in kaum erlebter Zahl wie Goldflitter über den Himmel gestreut. Zuweilen tauchte aus verschwiegenem Buschwerk eine Steinfigur auf, die ein gespenstisches Leben hatte, als warteten auferstandene Tote auf den neuen Kameraden.

Am offenen Grabe, das in einem wenig vornehmen Winkel des Friedhofes lag, schafften zwei weitere, an Pfählen aufgehängte Laternen etwas mehr Licht. Ihr Schein war rot, und die Art, wie er in die Nacht blutete, stand in grellem Gegensatz zum sanften, singenden Glanz der Sterne. Er beleuchtete die gedrungene Gestalt des Herrn Louis Meister, der, den Zylinder in Händen, das Abladen und Versenken des Sarges beobachtete und aus alter Gewohnheit in Haltung und Gebärde den Wirt herauskehrte, der einem Gast das höfliche Abschiedsgeleit gab. Als der Sarg in der Grube verschwand, gab er seinem Zylinder genau denselben steifgrüßenden Schwung und seinem Rücken dieselbe Beugung, wie er sie bei Verabschiedung seines Hotelwagens jeweilen zu verwenden pflegte. Dennoch schien Donat auch jetzt wieder, als wolle der Prinzipal in seiner Art bekunden, der alte Charles sei doch ein Mensch von einiger Bedeutung gewesen. Weder der Sarg noch die Erde, die bald darauf die Taglöhner auf diesen niederschaufelten, verringerten die Deutlichkeit der Erinnerung, die er an diesen trug. Er sah ihn mit den zittrigen Gliedern und dem schneeweißen Kopf so scharf vor sich, als sei er eben persönlich und auf unsicheren Beinen in das Erdloch gestiegen. Er meinte noch mit ihm reden, ihn vieles noch fragen zu müssen und war ihm näher als je. Am Ende achtete er gar nicht darauf, daß Meister und der Friedhofwart sich bereits wieder entfernten und auch die Taglöhner das erst halbgefüllte Grab verließen. Dafür fiel ihm auf, daß der Tausendfunkenhimmel gerade über dem Grabe ein Loch bekommen hatte und in einer Insel von tiefem Schwarz, wie eine herausgehängte Ampel, ein einziger mächtiger blauweißer Stern leuchtete. So jäh gewahrte er die Veränderung, daß er sie im ersten Augenblick zu dem darunterliegenden Grabe und seinem Toten in Beziehung brachte und fühlte, als schaue aus dem Stern herab etwas, das irgendwie mit Charles zu tun hatte. Und nun fiel ihm plötzlich seine eigene Verpflichtung gegen den Toten wieder schwerer aufs Herz.

Er stand noch immer verwirrt und beklommen da, als ein unwirscher Anruf sein Ohr erreichte. Dann gewahrte er, daß der Friedhofmensch zurückgekommen war und ihm heftige Zeichen machte, endlich zu kommen. »Herr Meister wartet«, raunte er ihm zu. Da folgte er ihm eilig und fand den alten Herrn, wie er sich eben ärgerlich über das Warten eine Zigarre anzündete. Meister stieß ein ungeduldiges »Na endlich« durch die Zähne und stieg ihm voran wieder in den Wagen. Hier saß er während der Rückfahrt rauchend und zuweilen nickend in seiner Ecke, Donat in der andern. Gesprochen wurde nicht. Aber Donat wälzte im Kopf seine Gedanken und seine Sorgen.

Als sie das Hotel wieder erreichten, herrschte da noch lauter, geschäftiger Alltag. Er funkelte mit elektrischen Kerzenaugen, klapperte mit Tellern, klingelte mit Gläsern, und ein Streichorchester mühte sich, in sein wirres Leben ein wenig Festlichkeit zu fiedeln.

Donat überlegte sich gerade, ob er die Pflicht habe, sich in seine Kellnermontur zurückzubegeben und zu den Kollegen in den Sälen zu gesellen, als Meister ihn ansprach und mit dem Wohlwollen, das er ihm oft zeigte, sagte, er werde müde sein, brauche also heute abend nicht mehr anzutreten. Donat stieg also mit schwerem Kopf und benommenen Sinnes in seine Kammer hinauf. Hier herrschte, obwohl sie tüchtig gelüftet worden, noch der scharfe, quälende Duft des Todes. Beaudriers Bett war schon weggeräumt. Augenscheinlich sollte Donat eine Weile nur noch Henry zum Schlafgenossen haben. Auch die Habseligkeiten des alten Charles waren verschwunden. Donat erschrak darüber, als habe man sie vor ihm in Sicherheit bringen wollen. Unwillkürlich trat er an seinen eigenen Koffer, schloß ihn auf und war fast erstaunt, Beaudriers Hinterlassenschaft noch darin zu finden. Er stand und starrte darauf nieder und war unsicherer als je, wie er den ihm gewordenen Auftrag werde ausführen können. Als er endlich seine Kiste wieder schloß, bedrängte ihn die Leere, die das Hinwegschaffen des einen Bettes in der Kammer hinterlassen hatte. Dann fiel ihm ein, wie der Eigentümer dieses Bettes jetzt weit draußen auf dem Schwarzschattenhof lag, über dem die stille große Lichtampel am Himmel strahlte. Er kleidete sich aus und legte sich zu Bett, aber das Einsamkeitsgefühl, das ihn befallen, verstärkte sich. Nicht nur Charles fehlte ihm, sondern er wurde sich wieder einmal bewußt, wie er allein, wie er allem entlaufen war, was zu ihm gehörte, und anderseits alle ihm entglitten, die wie etwa die blonde Ursula oder der alte Charles ihm einen Augenblick gegolten hatten. Die Vergangenheit tauchte wieder einmal auf. Wieder stand er mit Anschi, der Schwester, an der Brücke über die Senne, um Abschied zu nehmen. Was wußten sie und der Vater noch von ihm, was er von ihnen? Man konnte aus der Welt gehen, wie jetzt der alte Beaudrier, ohne daß eines vom andern es erfuhr!

Plötzlich fuhr er noch einmal aus dem Bett und entnahm seinem an einem Wandnagel hängenden Rock eine noch unbeschriebene Ansichtskarte. Auf die kritzelte er hastig ein paar Worte: »Liebe Schwester! Ich bin gesund und gehe bald weit in die Welt, wohl nach England. Ich hoffe, daß Ihr da oben auch immer wohlauf seid. Vielleicht schreibe ich später, wo ich bin. Ich möchte auch einmal von Euch hören.«

Es war eine sprunghafte, wenig überlegte Mitteilung. Ein Wunsch nach Antwort hatte sie geboren, aber es fiel Donat erst nachher ein, daß er seinen Leuten darin die Möglichkeit zur Antwort noch immer nicht gegeben. Dennoch warf er die Karte andern Morgens in den Kasten.

An diesem Morgen hatte Henry Krebs, den er in der Nacht nicht kommen gehört, noch bei seiner Morgentoilette gestanden, als Donat aufwachte. Er hatte tief und traumlos geschlafen, ermüdet von allem, was gestern auf ihn eingedrungen. Als er nun Henry gewahrte, wie er eben vor dem Spiegel sorgfältig seine schwarze Schleife band, erschrak er. Da stand der erste Mensch, der ihm von Beaudrier sprechen würde! Andere würden folgen. Fragen würden gestellt, Meinungen geäußert werden. Mehr als früher behelligte ihn das. Einen Augenblick war er versucht, sich noch schlafend zu stellen. Dann biß er die Zähne zusammen. In einer Art verzweifelten Trotzes sprang er aus dem Bett.

»Ei, du Siebenschläfer, erwachst du auch wieder einmal?« sprach Henry ihn an und fügte hinzu: »Dich könnte man mitsamt dem Bett forttragen, wenn man dich nachts schon schlafend trifft. Du würdest selbst einen Kanonenschuß nicht hören.«

Donat redete sich aus. Nun ja, es sei jetzt eine strenge Zeit, man sei abends hundemüde.

Da sah der andere sich im Zimmer um und fragte: »Wo sind denn dem Charles seine Sachen hingekommen?«

»Was weiß ich?« antwortete Donat. »Sie waren schon weg, als ich heimkam.«

»Ein schönes Stück Moos muß er beisammengehabt haben, der Alte«, vermutete Henry weiter.

Donat zuckte die Achseln.

»Stell dich doch nicht so«, erzürnte sich Henry. »Als ob du nicht Bescheid wüßtest!«

»Was einer mir anvertraut, das behalte ich für mich«, wehrte sich Donat. Er sagte es in bezug auf Henrys Frage, aber noch während er es aussprach, empfand er mit Befriedigung, daß es auch mit Bezug auf die Dinge, die in seinem Koffer lagen, Geltung hatte.

Henry machte sonderbar kleine ungläubige Augen. Dann aber erkundigte er sich nach dem Hergang der Beerdigung. Und darauf schimpfte er, irgendwie verärgert: »Jetzt ist er diesem Zuchthaus von Hotel entronnen, der alte Beaudrier. Ich wollte, ich wäre auch schon so weit, allerdings nicht im Leichenwagen.«

Ein Wort gab dann das andere.

»Du wirst hier wohl bleiben, wo du allerlei Aussichten hast?« fragte Henry.

»Fällt mir nicht ein«, antwortete Donat. »Man muß etwas von der Welt sehen.« Dann kam er auf den Plan seiner Englandreise zurück.

Der andere stimmte wieder eifrig ein, das wäre auch sein Ding. Ob sie etwa zusammen losziehen wollten?

Donat sah plötzlich einen Weg und jagte gleich auf ihm weiter. »Ich suche eine Stelle in einem Empfangskontor«, plauderte er weiter aus.

»Natürlich, der Kellner ist dir zu wenig«, meinte Henry spitz.

»Soll ich mein ganzes Leben einer bleiben?« fragte Donat zornig.

»Dich hat der Hochmutsteufel«, warf Henry hin. Dann besann er sich, und mit einer schlauen Klettenhaftigkeit fuhr er fort: »Warum sollen wir deshalb nicht beieinander bleiben, warum nicht im gleichen Hause unterkommen?«

Donat fand, der hübsche Windbeutel von Henry sei ihm zum Leben nicht unbedingt nötig; aber irgendwie schmeichelte ihm anderseits immer noch des andern Anhänglichkeit, und er war bereit, den Dingen den Lauf zu lassen. »Man muß hinfahren«, überlegte er. »Von weitem kann man das nicht bestimmen. An Ort und Stelle wird sich alles finden.«

»Das Warten kostet Geld«, gab Henry zu bedenken.

Eine rasche Antwort wollte Donat auf die Zunge fliegen: Ich werde es haben. Aber er verbesserte sich: »Man muß eben sparen daraufhin«.

Wieder stach ihm Henry mit mißtrauischen Augen ins Gesicht. »Dein Intimus Beaudrier hätte dir doch etwas hinterlassen können«, sagte er.

Donat senkte den Kopf. Sollte er den andern ins Vertrauen ziehen? Einen Augenblick kämpfte er mit sich selbst. Dann siegte eine gewisse Eitelkeit. Charles hatte ihm eine geheime Sendung anvertraut. Die wollte er ganz allein und ohne Wissen eines Dritten zu Ende führen. Vielleicht war da auch noch etwas anderes, Heimlicheres, unwillkürlich sich Aufdrängendes und doch nicht Gewolltes, das ihn Henrys Bemerkung nicht beachten ließ.

Ihr Gespräch versandete dann. Henry wunderte sich, warum er vorhin keine Antwort bekommen. Aber sie begaben sich an ihre Arbeit, ohne von den besprochenen Dingen noch weiterzuhandeln.

Am gleichen Vormittag noch wurden sie beide zu Herrn Louis Meister berufen und befragt, ob ihnen über Beaudriers Verhältnisse etwas bekannt sei und ob sie von Verwandten, vielleicht auch noch von Ersparnissen wüßten, die der alte Kellner neben einem Bankguthaben besessen haben könnte, das durch einen in seinem Koffer gefundenen Bankauszug ausgewiesen sei.

»Ich nicht«, verneinte Henry rasch, drehte sich aber ebenso plötzlich nach Donat um, als wolle er sagen: Aber der!

Donat fühlte sich wie von zwei Seiten angefallen. Er verlor die Farbe. Einen Augenblick zitterte etwas in ihm. Aber plötzlich spannten sich ihm Wille und Muskeln, und ein unbestimmtes Gefühl, mit zusammengebissenen Lippen auf ein Hindernis los zu müssen, trieb ihn vorwärts. Er war auf einmal ganz kühl. Er war niemand Rechenschaft schuldig, überlegte er. Niemand hatte ein Recht, nach dem geheimen Auftrag des Beaudrier zu fragen. Einzig dem Toten war er verantwortlich. Mit rechthaberischer Beharrlichkeit schwor er sich aufs neue zu, dessen Geheimnis für sich allein zu behalten. Und so redete er, ein wenig über sich selbst erstaunt: »Ich kann auch nicht mehr sagen. Charles sprach nie von Verwandtschaft. Mehr weiß ich auch nicht.«

Er fühlte, daß er, ohne es eigentlich zu wollen, nicht ganz bei der Wahrheit blieb; aber der eigentümliche innere Trotz ließ ihn sich ganz, in das verrennen, was er einmal begonnen.

Herr Louis Meister betrachtete ihn mit dem gewohnten Wohlwollen. »Wenn Charles länger gelebt hätte, würde er sicher wenigstens Ihnen ein Andenken hinterlassen haben«, meinte er wieder.

Donats Gesicht veränderte sich nicht. Seine Lippen saßen knapp aufeinander. Laß ihn reden, trotzte es in ihm.

Der Prinzipal erklärte darauf, er habe Beaudriers Erbe zur Verwaltung übernommen und wolle einen amtlichen Erben-Aufruf ergehen lassen.

Die beiden Kellner kehrten an die Arbeit zurück. Sie ließ ihnen vorläufig keine Zeit, sich über die Audienz bei Meister auszusprechen. Donat hatte indessen ein unangenehmes Gefühl, als folgten ihm Henrys Augen mit einem halb mißtrauischen, halb verwunderten Ausdruck den ganzen Tag. Er war sich aber nicht klar, ob er sich das nur einbildete.

Am Abend gab es im Anrichteraum einen Zwischenfall. Eine Familie war abgereist, die während ihres zehntägigen Aufenthaltes zuerst von Donat, dann erst an den beiden letzten Tagen von Henry bedient worden war. Nun kam der dicke Ober herein und warf ein paar Fünffrankenstücke auf den Tisch, daß sie klirrten und tanzten. »Teilt euch!« rief er.

Die beiden zögerten.

Henry sah Donat kampflustig an, erwartend, daß er sein größeres Anrecht geltend machen werde.

Donat rührte keinen Finger. »Nimm doch«, ermunterte er den andern. »Der letzte hat von jeher das Vorrecht gehabt.«

Da floß ein warmes Rot in Henrys rundes Gesicht. Schmunzelnd klaubte er die Taler auf dem Tisch zusammen. Er dankte nicht, aber seine Augen blickten Donat mit freundlicher Überraschung an.

Gutgelaunt jagten beim Schlafengehen die zwei Kammerkameraden hintereinander die Treppe hinauf. Ein wenig atemlos erreichten sie das gemeinsame Quartier. Hier steigerte sich ihr junger Übermut. Sie bewarfen einander mit Schuhen und Strümpfen, die sie ablegten. Zufällig machte sich Donat dann noch an seinem Koffer zu schaffen. Da stutzte Henry, als besinne er sich auf etwas. Er hörte auf, den andern zu necken. Donat spürte die jähe Stille im Rücken. Sie fiel ihm eigentümlich aufs Gemüt. Es begab sich, daß jeder von ihnen mit plötzlicher Schweigsamkeit sein Lager aufsuchte und, mit seinen Gedanken beschäftigt, sich auf den Rücken legte. Jeder staunte an die Diele über sich. Jeder wartete, daß der andere zuerst wieder spreche.

Eine Weile später schreckte Henrys Stimme Donat auf. Er lag noch immer, die Augen an der Decke. Aber er sprach laut und ernsthaft: »Wenn du nicht ein so netter Kamerad wärest, könnte man dich für einen Gauner halten.«

Donat wurde dunkelrot. Aber sogleich meisterte er seine Schwäche. »Was kümmert es mich, was man von mir glaubt«, erwiderte er mit protziger Schärfe. »Ein jeder ist das, was er sein will.«

Mit diesen etwas orakelhaften Worten drehte er dem andern zornig den Rücken zu.

Aber der gutmütige Henry sprang aus dem Bett und kam zu Donat herüber. Er setzte sich auf dessen Lager und zog ihn herum, bis er in sein Gesicht sah. »Es ist deine Sache, was du sagen willst und was nicht,« gestand er zu, »obgleich ich keiner bin, der Anvertrautes weiterträgt.«

Donat wußte, wohin er zielte. Einen Augenblick lang war ihm wieder, daß er ihn ins Vertrauen ziehen möchte. Aber sogleich schwoll ihm neu der Trotz: Jetzt gerade zuleid nicht, dachte er abermals und kniff die Lippen schmäler zusammen.

Da fragte Henry: »Wann wollen wir gehen, du und ich?«

»Wohin?« erkundigte er sich verständnislos.

»Über den Kanal«, erklärte Henry.

Wege taten sich auf. Hemmungen lösten sich. Donat sah wieder einmal die Zukunft offen. Er wäre lieber allein ausgezogen. Aber irgendwie war er sonderbar weich und nachgiebig gegen Henry gestimmt, als habe dieser seinen Dank verdient. Vielleicht, redete er sich selber zu, würde es auch besser sein, auf der Fahrt in die nicht ganz heimliche Fremde einen Reisegefährten zu haben.

Ehe sie es wußten, waren sie mitten im Beraten ihres Austrittes aus dem Hotel Beau Séjour und der Englandfahrt. Gleich nach Neujahr wollten sie alles bewerkstelligen.

Es dauerte eine Weile, als Henry sich in sein eigenes Bett zurückbegeben, bis sie inne wurden, daß vorhin ein Gespräch das andere abgelöst und ein Vertrauen nicht gegeben worden, das einer gefordert hatte.

Donat schnitzelte dann an dieser Tatsache herum, mehr aber an der künftigen Reise. Es gab auf dieser ein Wegstück, auf dem ihm Henrys Begleitung nicht paßte. Und so rief er in neuerwachtem Eigensinn nach des andern Lager hinüber: »Ich will aber diese Reise nicht im Schnellzug machen. Wandern will ich und etwas von der Welt sehen.«

»Eine Fußreise mitten im Winter!« klang es zurück. »Du bist wohl nicht bei Trost!«

»So fahr doch allein«, murrte Donat.

Henry schwieg, aber nicht, weil er entschlossen war, diesem Rat zu folgen. Er wußte selbst nicht, was ihn trieb, sich an Donats Sohlen zu heften.


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