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Gebet

Bringe mich nicht ganz von Sinnen,
mach' mich duldsam und verträglich!
Wieviel Stunden laß ich täglich
fruchtlos, ungenutzt verrinnen!
Ich versäume meine Sachen
und verschweige meine Liebe,
als ob mir ein Leben bliebe,
das Verfehlte wettzumachen,
als ob mir ein Gott gewährte,
stets von neuem anzufangen,
nach Vergangnem zu verlangen,
daß es mich noch einmal nährte
mit der längst gehabten Speise
und den schal gewordnen Tränken.
Wieder durch die alten Schänken
macht mein Traum die trübe Reise,
zeigt mir die vertrauten Plätze
unverändert, mich zu narren,
und aus Schutt und Asche scharren
meine Wünsche tote Schätze.

Bringe mich nicht ganz von Sinnen,
daß ich mir nicht mehr gehöre,
meine Gegenwart zerstöre,
mich im Spuke einzuspinnen,
nicht mehr auf die Zukunft baue,
ohne Hoffnung, Liebe, Glaube!
Heb mich gnädig aus dem Staube,
daß ich wieder Schönes schaue,
mich in alle Weiten wage,
neue Wunder zu entdecken,
nach sovielen wüsten Schrecken
mit dem Leben mich vertrage,
meine Zärtlichkeit verschenke,
keinen Augenblick verliere,
Menschen, Blumen, Steine, Tiere
mit der gleichen Gunst bedenke,
mich genügsam glücklich wähne
und kein Uebriges begehre
und mich niemehr töricht wehre
gegen des Geschickes Pläne!


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